Ansturm auf die Pubs

In Großbritannien fallen Schritt für Schritt Corona-Restriktionen

  • Christian Bunke, Manchester
  • Lesedauer: 3 Min.

32 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, haben in Großbritannien inzwischen die erste Dosis eines Covid-19-Impfstoffs erhalten. Rund 12 Prozent der Briten haben bereits auch ihre zweite Dosis erhalten. Angesichts dieser Fortschritte bei der Impfkampagne hat die britische Regierung ab dieser Woche eine Reihe von Öffnungsschritten umgesetzt. In England haben sogenannte »nicht essenzielle« Geschäfte nun wieder geöffnet. Und Pubs und Restaurants dürfen im Freien wieder Sitzplätze anbieten. Schottland will am 26. April folgen. Dieses Angebot wird von zahlreichen Menschen begeistert angenommen. Die Gastronomiebetriebe waren in den vergangenen Tagen vielerorts komplett ausgebucht, teilweise entstanden lange Schlangen. Trotzdem arbeiten viele Gaststättenbetreiber nicht einmal kostendeckend, da sie aufgrund weiter geltender Abstandsregeln und der andauernden Schließung der Innenräume nur Teilkapazitäten ausschöpfen können.

In den zurückliegenden Wochen sind die Infektionszahlen auf der Insel deutlich gesunken. Derzeit gibt es dort täglich durchschnittlich weniger als 17 neue Covid-Fälle pro 100 000 Einwohner. Viele englische Städte verzeichnen jedoch höhere Inzidenzen, in Manchester etwa ist der Wert dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. In der Hauptstadt London beginnt sich zudem die südafrikanische Variante des Coronavirus zu verbreiten. Deshalb wurden zunächst in zwei, dann in vier Stadtteilen Massentests angeordnet. Am Donnerstag wurden auch für die Region West-Midlands solche Untersuchungen angesetzt.

Die südafrikanische Variante wird von Experten als besonders gefährlich eingeschätzt, da sie das menschliche Immunsystem zumindest teilweise austrickst und manche Impfstoffe deshalb eine geringere Wirksamkeit gegen diese Mutante haben. Christina Pagel, Direktorin der im Auftrag des Gesundheitsministeriums tätigen Forschungsgruppe »Clinical Operational Research Unit« an der Universität London forderte deshalb am Mittwoch in der Tageszeitung »The Guardian« neue Restriktionen für die gesamte Hauptstadt.

Der konservative Premierminister Boris Johnson macht keinen Hehl daraus, dass er aufgrund der Öffnungen mit einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen rechnet. Es werde weitere Coronatote geben, sagte er am Dienstag in einer Ansprache in seinem Amtssitz Nr. 10 Downing Street in London. Auch seien die Impfstoffe demnach nicht die Hauptverantwortlichen für die sinkenden Infektionszahlen der vergangenen Wochen. Diese gingen vor allem auf die Restriktionen zurück, die Johnson als »Schwerstarbeit« bezeichnete.

Bekanntermaßen gehört der Tory zu den Befürwortern einer Durchseuchungsstrategie, die auf eine sogenannte Herdenimmunität abzielt. Schon Mitte Februar sagte er vor britischen Medienvertretern, dass die von ihm geplanten Öffnungen zwangsläufig höhere Todeszahlen mit sich bringen würden, da die Impfstoffe »nicht perfekt« seien. Es gebe aber langfristig keinen Weg hin zu einer »Zero-Covid-Welt« und eine dritte Welle sei »unvermeidbar, egal wann Lockerungen durchgeführt werden«. Berater der Johnson-Regierung gehen davon aus, dass die Zahl der Toten unter Umständen noch einmal bis auf 1000 pro Tag nach oben schnellen könnte.

Während die Regierung zunehmend davon ausgeht, die Pandemie weder durch Impfungen noch durch Restriktionen ganz beseitigen zu können, werden die Stimmen zur Einführung von Impfausweisen lauter. So führt das Gesundheitsministerium derzeit eine Befragung unter den Betreiberfirmen von Pflegeheimen durch, um herauszufinden, ob zukünftig Covid-19 Impfpässe eine Vorbedingung für die Berufsausübung als Pflegekraft sein könnten. Private Konzerne wie das »UK Rapid Testing Consortium« wittern hier längst Profitchancen. Die Firma steht laut einem aktuellen Bericht der Tageszeitung »Daily Mail« in Gesprächen mit Fußball- und Rugbyverbänden, um Impfpässe herstellen zu können, an die Eintrittskarten zu Spielen geknüpft werden sollen.

Eine Generalprobe ist für den 15. Mai geplant. Dann soll im Wembley-Stadion das FA-Cup-Finale vor immerhin 21 000 zahlenden Zuschauerinnen und Zuschauern steigen. Allerdings müssen diese einen gültigen Impfnachweis mitbringen, um Eintritt zu erhalten. Laut einer von der Boulevardzeitung »Daily Mail« in Auftrag gegebenen Umfrage befürworten derzeit 63 Prozent aller Briten die Einführung verpflichtender Impfausweise. Die oppositionelle Labourparty ist gegen privilegierende Impfpässe, aber grundsätzlich für Öffnungsschritte.

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