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  • Rot-rot-grüne Bilanz in Berlin

Rot-rot-grüne Fundamente

Die Spitzen der Berliner Mitte-links-Koalition ziehen eine positive Bilanz, politisch liegt aber noch einiges im Argen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Auswahl des Ortes ist natürlich kein Zufall. Im Berliner »Futurium« präsentierten am Freitag die Spitzen der rot-rot-grünen Koalition in Berlin ihre Bilanz nach fast fünf Jahren gemeinsamer Regierungszeit. Ob die Zusammenarbeit auch in Zukunft weitergeht, ist ungewiss, das hängt vom Ausgang der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 26. September dieses Jahres ab. Die drei Partner – SPD, Linke und Grüne – ziehen aber eine grundsätzlich positive Bilanz der gemeinsamen Regierung, auch wenn viele selbst gesteckte Ziele wie die Errichtung von 30 000 kommunalen Wohnungen am Ende verfehlt wurden.

»Ein rot-rot-grünes Fundament wurde gelegt«, sagte Vizesenatschefin und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Natürlich hätte alles besser und schneller gemacht werden können. Die Bilanz der seinerzeit ersten Mitte-links-Dreierkoalition unter SPD-Führung empfinde sie als »gut«. Pop betont: Es gibt keine Wechselstimmung in der Stadt.»

Darauf verweist an diesem Freitag auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller. «Wir haben stabile Umfragewerte über die gesamte Legislatur», so der SPD-Politiker. In der Coronakrise gab es sogar eine leichte Tendenz nach oben. Aus Sicht des Senatschefs nehmen die Berlinerinnen und Berliner sehr wohl wahr, wo der Senat zuständig ist und wo nicht. Es sei der Koalition gut gelungen, die Menschen zu erreichen. Ganz bewusst habe die Koalition auf die kulturelle Vielfalt, die Internationalität gesetzt und an Erfolge aus der Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik angeknüpft, hieß es mit Verweis auf die Gründer- und Kulturszene. «Rot-Rot-Grün steht für das Lebensgefühl», sagte Müller, der in Zukunft seine Themen gerne weiter im Bundestag verfolgen will. Die SPD hat Müller für den ersten Platz auf ihrer Berliner Landesliste bei der Bundestagswahl vorgeschlagen.

Selbstverständlich wird auch in Berlin die Regierungsarbeit seit 14 Monaten von den Folgen der Pandemie überlagert. «Die Coronakrise ist der Lackmustest für alles, was Rot-Rot-Grün angeschoben hat», erklärte Vizesenatschef und Kultursenator Klaus Lederer (Linke). So sei die Stärkung des Öffentlichen Dienstes und des Gesundheitssystems richtig gewesen. «Ohne Charité und Vivantes hätten wir alt ausgesehen», betonte Lederer. Auch bei der künftigen Bewältigung der Krisenfolgen werde der Öffentliche Dienst ein «Schlüsselelement» sein, so der Spitzenkandidat der Linken, der gerne selber Regierender Bürgermeister von Berlin werden will. So seien auch unter Rot-Rot-Grün der Personalabbau im Öffentlichen Dienst gestoppt und sogenannte sachgrundlose Befristungen abgeschafft worden. Der Landesmindestlohn liegt mit 12,50 Euro deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

Von dem zu Beginn der Legislatur von der Mitte-links-Koalition in Aussicht gestellten Politikwechsel etwa bei der Wohnungspolitik und der Verkehrspolitik ist Berlin dennoch sicher weit entfernt. Das scheint auch den Regierungsmitgliedern klar zu sein. Sie sprechen davon, Dinge angestoßen, Fundamente gelegt zu haben. «Es gibt viele gute Gründe für eine Fortsetzung einer Zusammenarbeit. Es ist nicht egal, wer nach der Pandemie regiert», sagt Lederer. Schließlich gehe es dann darum, wer «die Party» bezahlt, die durch die Pandemie gekommen ist – also wer für die Krisenkosten aufkommt. Mit Kürzungen der Krise hintersparen will Lederer nicht.

Zuletzt musste der Senat mit dem Scheitern des Mietendeckels vor dem Bundesverfassungsgericht einen schweren Schlag verkraften. Daraus erfolgende wirtschaftliche Härten für die Mieterinnen und Mieter werden abgemildert, erklärte Müller. Nicht nur in dieser Frage habe der Senat schnell und vertrauensvoll gehandelt.

Überhaupt scheint das Dreierbündnis in den letzten Monaten auch insbesondere durch das Krisenmanagement in der Pandemie auch persönlich noch mal zusammengerückt zu sein. «Diese Zusammenarbeit war sehr eng und sehr vertrauensvoll», so Müller. Der Regierende räumte auch selbstkritisch ein, dass er zu Beginn der Legislatur vielleicht zu ungeduldig gewesen sei, weil er gedacht habe, wenn man sich politisch sehr nahe ist, dann müsse auch sehr viel, sehr schnell klappen. Doch dann zeigte sich: «Wir sind unterschiedliche Parteien», so Müller.

Viele Erfolge schreibt sich das Mitte-links-Bündnis unterdessen in sozialen Fragen auf die Fahne: Bei der finanziellen Entlastung von Familien und der Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni gab es kaum bestreitbare Fortschritte. Rot-Rot-Grün hat das Schulessen kostenfrei gemacht und ein kostenloses Schülerticket eingeführt. Im Umgang mit der Obdachlosigkeit hat der Senat sich nicht nur ambitionierte Ziele gesetzt, sondern auch mehr Kältehilfeplätze zur Verfügung gestellt und Hilfen wie Schutzmasken in Pandemiezeiten zur Verfügung gestellt.

«Solidarisch – nachhaltig und weltoffen» ist der Slogan, den sich Rot-Rot-Grün selber gibt. «Wir haben immer gegen rechtskonservative Tendenzen in diesem Land klare Signale gesendet», sagt Klaus Lederer. «Dieser Dreiklang wurde von uns mit Leben gefüllt», ist sich auch Ramona Pop sicher. Trotz der Coronakrise sei Berlin eine Stadt für alle geblieben. Mit Rot-Rot-Grün habe sich eine Reformkoalition zusammengefunden, so die Politikerin der Grünen. Und: «Wir haben das Jahrzehnt der Investitionen gestartet, wir haben die Investitionsbremse gelöst», sagt Pop unter anderem mit Blick auf die begonnene Schulbauoffensive und milliardenschwere Investitionen in den Fuhrpark der BVG, für die neue U-Bahnen und Elektrobusse beschafft wurden.

Nichts weniger als ein «Jahrzehnt der Investitionen» hat Rot-Rot-Grün ausgerufen. Ob damit schon nach den ersten fünf Jahren nach der Wahl wieder Schluss sein wird, hängt vom Wahlergebnis ab. Einiges politisches Vertrauen scheint zwischen den Parteien erwachsen zu sein. Zuletzt machte die Spitzenkandidatin der SPD, Franziska Giffey, aber auch kaum zu übersehene Avancen in Richtung bürgerlicher Parteien wie der CDU. Die Zeiten einer rot-rot-grünen Wohngemeinschaft müssen also nicht zwangsläufig weitergehen. Genug zu tun gäbe es freilich noch: Das Mietenthema, die Verkehrspolitik und der Modernisierung der Verwaltung sind politisch nicht gelöst.

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