Bremsklötze gegen rechts

Indiens Hindunationalisten verfehlen bei wichtiger Regionalwahl ihr Ziel

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Coronavirus hält Inderinnen und Inder nicht vom Wählen ab: Bei wichtigen Regionalwahlen stimmten bis zu 80 Prozent der Berechtigten ab. Gewählt wurde in den bevölkerungsreichen Staaten wie Westbengalen in fünf Phasen über einen Monat hinweg, im Unionsterritorium Puducherry an einem einzigen Tag. Dort war zudem die Beteiligung mit 81 Prozent am höchsten. Aber auch in den übrigen Regionen konnte selbst die katastrophal zugespitzte Corona-Lage die Menschen nicht von ihrem Grundrecht zu wählen abhalten: Zuletzt verzeichneten die Behörden neue Tagesrekorde von über 400 000 Neuinfektionen unmittelbar vor der Auszählung am Sonntag.

Die Wahlergebnisse fallen durchaus gemischt aus und ergeben ein komplexes Bild, das Interpretation bedarf. Klar ist: Die Hindunationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi haben keine nennenswerten Zugewinne verbuchen und keine weitere Region unter ihre Kontrolle bringen können. Seit 2014 regiert die BJP auf nationaler Ebene, auch in mehr als zwei Dritteln der Unionsstaaten ist sie mindestens in Koalitionen an der Macht beteiligt. Dabei hatten sich die Hindunationalisten in den Vorjahren auch auf Gebiete ausgedehnt, wo sie früher nahezu keine Basis hatten.

Vor der Regionalwahl hatten die Hindunationalisten vollmundig getönt, als größten Einzelerfolg nun auch Westbengalen übernehmen zu wollen - das ist der Rechten trotz großen Einsatzes an Material und Personal nicht gelungen. Der am Übergang zum Nordostzipfel gelegene Teilstaat zeigte sich widerständig. Er gilt in besonderer Weise als das intellektuell-kulturelle Herz Indiens und ist die Heimat von Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore. Die dort regierende rechtsliberale Regionalpartei Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee konnte 213 von 292 Mandaten erringen und damit ihr Ergebnis von 2016 verteidigen.

Dass die Hindunationalisten dennoch nun mit 77 statt nur drei Abgeordneten im Regionalparlament sitzen, bedeutet, dass die beiden bisherigen primären Oppositionskräfte in ihrer parlamentarischen Präsenz quasi ausradiert wurden. Sowohl die Kongresspartei, die Indien jahrzehntelang politisch dominierte, als auch die von der Kommunistischen Partei Indiens-Marxistisch (CPI-M) angeführte Linksfront gingen diesmal leer aus. 2016 hatte das Bündnis noch 44 (Kongress) und 30 Mandate (Linke) errungen.

Gerade für die Linksfront ist das ein Schock. Immerhin hatte sie in Westbengalen von 1977 bis 2011 knapp 34 Jahre lang regiert, was in der indischen Geschichte mit den häufigen Machtwechseln bis heute einmalig ist. Massive Einbußen hatte es schon in den vergangenen zehn Jahren gegeben. Doch selbst ihre einst treuesten lokalen Bastionen büßten CPI-M und Partner nun ein.

Was als kleiner Trost herhalten kann: In Kerala ganz im Süden, wo es 1959 kurzzeitig die erste kommunistisch geführte Regionalregierung des Landes gab, gelang der Linksfront eine Premiere: Erstmals darf sie dort eine zweite Amtszeit anhängen. Bisher war über 40 Jahre regelmäßig ein Machtwechsel zwischen ihr und einer von der Kongresspartei geführten Allianz erfolgt. Die Linken konnten ihre Mehrheit sogar von 91 auf 94 der 140 Abgeordneten ausbauen; die Allianz sackte von 47 auf 40 Mandate ab, die Hindunationalisten verloren ihren einzigen Sitz.

Während in Assam die Hindunationalisten die von ihnen geführte Koalitionsregierung fortsetzen können (die Partei konnte ihre Mandatszahl halten, während ihr regionaler Partner Einbußen hatte), gab es in Tamil Nadu einen Machtwechsel. Dort dominieren seit Jahrzehnten zwei Regionalparteien. Die bislang regierende und mit den Hindunationalisten verbündete AIADMK wurde abgestraft (statt 136 Mandate nur noch 65); dafür konnte die mit dem Kongress verbündete DMK jubeln, die statt 89 nun 125 Abgeordnete stellt. Auch der Kongress legte von 8 auf 18 deutlich zu, CPI-M und die kleinere CPI konnten jeweils zwei Sitze neu gewinnen. Im benachbarten kleinen Puducherry konnte sich hingegen die regierende Allianz um die Hindunationalisten behaupten.

Die Traditionspartei Kongress und die CPI-M haben trotz Teilerfolgen weiter Federn lassen müssen. So zufrieden das linksliberale Lager sein kann, dass die Hindunationalisten an neuen Siegen gehindert werden konnten, bleibt eine gemeinsame Oppositionsfront weiter aus. Auch weil die Führungsfrage in einem solchen Bündnis unklar ist. Mamata Banerjee, Regierungschefin von Westbengalen, könnte mit ihrem starken Abschneiden dabei nun eine stärkere Rolle spielen.

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