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Wenn nur noch Mut hilft

Deutsche Athleten fordern eine unabhängige Anlaufstelle in Fällen physischer und psychischer Gewalt im Sport

Immer wieder werden Fälle von Gewalt im Sport publik. Es geht um verbale, manchmal aber auch um sexualisierte Formen. In dieser Woche befasste sich der Bundestags-Sportausschuss mit dem Thema, und Sie waren als Athletenvertreter dabei. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) meinte, es gehe voran, man sei dran am Problem. Können Sie das bestätigen?

In den letzten Jahren ist tatsächlich viel passiert. Im Bereich der Prävention wurden mit der Einführung von Stufenmodellen wichtige Schritte gemacht. Die Mittelvergabe an die Mitgliedsorganisationen der Sportjugend und des DOSB wird dadurch nun an Schutzmaßnahmen gebunden. Es ist gut, dass Verbände Konzepte haben, die Gewalt im Sport vorbeugen sollen. Aber es wird nicht überprüft, ob und wie sie umgesetzt werden. Und auch nicht, ob sie Wirkung zeigen.

Interview

Maximilian Klein spielte selbst Beachvolleyball, schaffte es jedoch nicht zum Kaderathleten. Der heute 28-Jährige startete daraufhin eine politikwissenschaftliche Karriere, studiert derzeit in den USA Public Policy an der Harvard University. Erfahren in Interessenvertretungen baute er 2019 den Verein Athleten Deutschland mit auf. Dort kümmert er sich seitdem um Sportpolitik und internationale Vernetzungen.

Wer sollte das übernehmen: der DOSB?

Präventionsarbeit ist eindeutig Teil der Fürsorgepflicht des Sports. Das müssen die Organisationen selbst leisten. Aber sie sollten Unterstützung von außen bekommen. Risikoanalysen sowie Entwicklung und Kontrolle von Schutzprozessen müssen begleitet und evaluiert werden. In Großbritannien gibt es die »Child Protection in Sport Unit«, die das bereits leistet. Deswegen schlagen wir ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport auch in Deutschland vor, das als eine seiner Aufgaben diese Begleitung übernehmen kann.

Welche anderen soll es noch ausführen?

Es fehlt an einer nationalen Strategie. Wir müssen große Schritte nach vorne machen. Leider ist vieles Stückwerk, viele Akteure handeln isoliert und unabgestimmt voneinander. Eine übergeordnete, unabhängige Stelle sollte die Fäden zusammenführen. Vor allem im Bereich der Intervention besteht akuter Handlungsbedarf. Es braucht eine unabhängige Anlaufstelle, denen Betroffene vertrauen und die ihnen Unterstützung vermittelt. Das Zentrum sollte auch Hinweisen nachgehen oder zumindest überprüfen können, ob die Sportorganisationen ihnen nachgehen, damit Grenzübertritte nicht folgenlos bleiben. Gleichzeitig müssen Vereine und Verbände, aber auch lokale externe Unterstützungsangebote in der Fläche gestärkt werden. Vielen fehlt die nötige Handlungssicherheit. Sie brauchen ebenfalls eine Kompetenzstelle, die sie von außen unterstützt. Das ist aber nur die Säule der Intervention. Eine vom Sport unabhängige Stelle sollte im Bereich der Prävention eine Art Monitoring- und Auditsystem aufbauen, also zum Beispiel Mindeststandards für Schutzkonzepte und Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter setzen und deren Einhaltung prüfen können. Hier kann sich der Sport nicht selbst kontrollieren. Die dritte Säule wäre die Aufarbeitung älterer Fälle. Da steht der Sport noch ganz am Anfang. Auch Betroffene aus der Vergangenheit brauchen eine Anlaufstelle. Und systematische Aufarbeitungsprojekte in Sportorganisationen müssen von externen Experten begleitet werden.

Warum fehlt Betroffenen im Interventionsfall das Vertrauen in die Verbände?

Das ist aufgrund der Missbrauchs- und Gewalterfahrungen oft erschüttert. Sie fürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass sie nicht anonym bleiben, dass nicht gehandelt wird. Auch die internen Ansprechpersonen sind zudem Teil von Beziehungsgeflechten innerhalb der Verbände. Sie stehen im Zweifel zwischen Verbands- und Betroffeneninteressen. In den vergangenen Monaten gab es in Deutschland Enthüllungen im Schwimmen, Boxen, Turnen. Es wurde traurigerweise offensichtlich, dass im Interventionsfall nicht einheitlich agiert und Hinweisen sogar nicht konsequent nachgegangen wurde.

Wie häufig kommt es zu Gewalt im Sport?

Im deutschen Leistungssport kennen wir die »Safe-Sport-Studie«. Die ergab, dass 87 Prozent aller befragten Athleten schon Formen psychischer Gewalt erfahren haben. Bei 29 Prozent war es sogar physische Gewalt, bei 37 Prozent sexualisierte und bei zwölf Prozent sogar eine schwere Form sexualisierter Gewalt. Das sind alarmierende Zahlen. Gerade im Hochleistungssport gibt es extreme Abhängigkeitsverhältnisse: Athleten ordnen vieles ihren Zielen unter, das Leben dieser jungen Menschen ist zudem hochgradig abhängig von Entscheidungen der Trainer und Funktionäre. Diese geschlossenen Systeme sind dann anfällig für Machtmissbrauch und psychische Gewalt. Dass die Fälle öffentlich wurden, zeigt: Das ist ein Mechanismus, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen.

Wie sieht es im Breitensport aus?

Es gibt aktuell ein Studienvorhaben des Landessportbundes NRW. Dem haben sich schon mehrere Landessportbünde angeschlossen.

Zeigen die vermehrt öffentlich behandelten Fälle, dass die Gewaltzahlen steigen, oder dass das Tabu bricht?

Es gibt tatsächlich immer mehr Athletinnen und Athleten, die den Mut fassen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nachdem US-Turnerinnen im Fall Larry Nassar genau das getan, und Netflix die Doku »Athlete A« veröffentlicht hatte, folgte eine Welle, die über die ganze Welt schwappte. Turnerinnen in den Niederlanden, Großbritannien, der Schweiz, Australien und hier in Chemnitz berichteten von ihren Erfahrungen. Es gibt keine Langzeitdaten, die Auskunft über die Fallentwicklung geben könnten. Darum geht es aber gar nicht. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es in Deutschland kein weit verbreitetes Problem sei. Die Dunkelziffer ist weiterhin hoch und wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.

Wenn Fälle immer wieder in den Organisationen versanden und ihnen nicht vertraut wird, warum sollen sie dann überhaupt Ansprechpartner benennen?

Weil sich manche Betroffene lieber an interne Stellen wenden. Sie haben ein gutes Vertrauensverhältnis zu Personen im Verband oder Verein aufgebaut und öffnen sich ihnen lieber als jemandem, den sie gar nicht kennen oder gleich der Öffentlichkeit. Wir wollen ein Zusatzangebot. Man muss Betroffenen Wahlmöglichkeiten geben. Wenn sie der Institution nicht vertrauen, in der Täter aktiv waren, dann muss eine unabhängige Stelle her.

Soll dieses Zentrum auch Verfehlungen sanktionieren dürfen?

Das ist zu prüfen. Wir sind ein junger, kleiner Verein, der hier erst einmal einen Impuls geliefert hat. Wir bemerken in Gesprächen mit unseren Mitgliedern, wie groß der Frust ist, weil sich ganz viel unterhalb der strafrechtlichen Grenzen abspielt. Deswegen haben eine Vielzahl von Grenzüberschreitungen und Gewalterfahrungen keine Konsequenzen.

Ein Verbandsvertreter sagte im Bundestag, genau deswegen seien ihm die Hände gebunden. Ohne juristische Verurteilung könne ein Täter nicht entlassen werden.

Es ist durchaus ein Problem, dass nicht konsequent vorgegangen werden kann. Auch hier könnte das Zentrum helfen, das zumindest einheitliche Empfehlungen für den Umgang mit solchen Fällen gibt, wer zum Beispiel erst einmal suspendiert werden müsste.

Bei sexualisierter Gewalt scheinen die Grenzen klarer als bei psychischen Formen. Nicht nur der Fall der Turnerinnen in Chemnitz zeigte, dass harte Ansprachen, Bodyshaming, Druckaufbau oder Beschimpfungen bei einigen schwere Folgen nach sich ziehen. Andere nehmen das eher als normalen Trainingsalltag wahr. Wie kann man hier objektiv handeln?

Es wäre ein Fehler zu sagen, dass Grenzen hier nur subjektiv zu ziehen wären. Es gibt klare Definitionen, zum Beispiel von der Weltgesundheitsorganisation, was Kriterien für psychische Gewalt sind. Sicherlich gibt es hier und da noch einmal individuelle Grenzen. Da ist es aber wichtig, Athletinnen und Athleten zuzuhören und sich damit auseinanderzusetzen. Übrigens haben wir im Bereich der sexualisierten Gewalt auch das Problem, dass vieles nicht zur Anzeige gebracht wird oder gebracht werden kann, zumal in vielen Fällen sexualisierte Gewalt nicht einmal als solche eingestuft wird.

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