Geheimdienst mit Defiziten

Kommission: Verfassungsschutz im Nordosten machte Fehler

Fehlerhaft, nicht sachgerecht, strukturelle Mängel: Die Expertenkommission, die sich seit Januar mit Arbeit und Organisation des Verfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt hat, stellt dem Inlandsgeheimdienst im Nordosten zum Abschluss ihrer Untersuchung wahrlich kein schmeichelhaftes Zeugnis aus. Die vier Fachleute Torsten Voß, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg, Ilsemarie Meyer, Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Bremen a.D., Sinan Selen, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Rudolf Springstein, Inspekteur der Polizei MV a.D., waren von Innenminister Torsten Renz (CDU) eingesetzt worden, um zuvor massiv kritisierte Vorgänge zu untersuchen. So waren nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 Informationen auf mögliche Mittäter nicht weitergegeben worden. Auch dass der Verfassungsschutz eine abgesägte Schrotflinte und eine Dekowaffe aufbewahrte und nicht weitergab, untersuchte die Kommission.

Und stieß in beiden Fällen tatsächlich auf eine Reihe von Fehlern, wie der Hamburger Verfassungsschützer Voß am Mittwoch bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse ausführte. Nach Meinung der Experten hätten die Informationen im Zusammenhang mit dem Attentat unbedingt weitergegeben werden müssen, wie Voß gleich mehrfach betonte. Auch im Fall der Waffen spricht die Kommission von fehlerhaftem Verhalten. So habe es unter anderem keine schriftlichen Aufzeichnungen zu dem Vorgang gegeben, der Umgang mit den Waffen sei nicht fachgerecht gewesen und die Strafverfolgungsbehörden hätten informiert werden müssen.

Bei ihren Untersuchungen zu den bekannten Vorgängen sind die Experten dann auch gleich noch auf weitere Sachverhalte gestoßen, die Anlass zur Kritik geben. Neben einem weiteren Vorgang im Zusammenhang mit Waffen, zu dem unter anderem keine schriftlichen Aufzeichnungen auffindbar waren, habe eine Quelle im Jahr 2015 Hinweise auf die Täter eines Raubüberfalls an den Geheimdienst herangetragen - doch auch diese seien nicht umgehend an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben worden, sondern erst fünf Jahre später.

Aus ihrer Arbeit leiteten die Experten 52 Handlungsempfehlungen ab. Dazu zählen etwa die Einführung von Standardprozessen und eine Verbesserung des Informationsmanagements. Innenminister Renz kündigte nach Vorstellung der Ergebnisse umgehend zahlreiche Konsequenzen an: »Ein Hauptproblem war, dass oftmals nebeneinander und nicht miteinander gearbeitet wurde. Das hat zukünftig ein Ende. Die Aktenführung wird fortan uneingeschränkt revisionssicher sein«, erklärte Renz unter anderem.

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Für die Linksfraktion erklärte Jacqueline Bernhardt, stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss, zu den Ergebnissen: »Die Verfassungsschutz-Kommission hat dem Landesgeheimdienst ein desaströses Zeugnis ausgestellt. Massive Fehlentscheidungen der Führungsebene, ein völlig unzureichendes Berichtswesen und rechtswidrig ausgebliebene Informationsübermittlungen an die Strafverfolgungsbehörden belegen die strukturellen Missstände des Geheimdienstes.« Da die Kommission lediglich zwei Sachverhalte untersuchen sollte und bereits dabei auf bislang nicht bekannte zweifelhafte Vorgänge gestoßen sei, »müssen wir von weiteren skandalträchtigen Handlungen innerhalb der Behörde ausgehen«, so Bernhardt.

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