Glibberschlamm und Plastikmüll

Die UN-Dekade der Ozeane will Ökonomie und Ökologie miteinander versöhnen - ein ganz fernes Ziel

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

An Land scheint der Klimaschutz im Kern ein Energieproblem zu sein. Komplizierter ist die Lage auf den sieben Weltmeeren. »Obwohl über 70 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt sind, gibt es im Pariser Klimaabkommen keine Vorgaben für die Ozeane«, beklagte Karin Kammann-Klippstein, Präsidentin des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), auf dem an diesem Mittwoch zu Ende gehenden 30. Meeresum-weltsymposium in Hamburg. Dabei seien die Ozeane eine gewaltige Kohlenstoffsenke, und etwa die Hälfte des Sauerstoffs in der Atmosphäre komme aus dem Meer.

Belastet werden die Ozeane von menschengemachten Umweltsünden ebenso wie von den Folgen des globalisierten Kapitalismus oder den natürlichen Gegebenheiten. Die Folgen zeigen sich in diesen Tagen außergewöhnlich deutlich im türkischen Marmarameer. Die Küste des kleinen Binnenmeeres ist dicht besiedelt. An ihr liegen zahlreiche Großstädte wie die 16-Millionen-Metropole Istanbul. Doch die Küstengewässer sind derzeit weiträumig von Glibberschlamm bedeckt. Der von Algen ausgeschiedene Schleim treibt an der Wasseroberfläche, aber auch in dicken Schichten darunter.

Infolgedessen dürfte in diesem Sommer nicht allein das Badevergnügen an türkischen Sonnenstränden ausfallen. Fischer können ihre Netze nicht auswerfen, weil diese stark verschmutzen und unbrauchbar werden. Negative Folgen hat dies auch für Meeresorganismen wie Muscheln, die unter Sauerstoffmangel leiden.

Der Marmara-Schleim ist kein gänzlich neues Phänomen, aber er wächst schneller, und die Plage dauert länger. Erste Warnungen von Meeresbiologen gehen schon auf die 1980er Jahre zurück. Ein Grund für das rasante Wachstum der Algen sind die gestiegenen Temperaturen der Luft. Aufgrund erhöhter CO2-Konzentrationen kann ein Teil der Wärme nicht in den Weltraum entweichen und wird ins Meer zurückgestrahlt: 90 Prozent dieser Energie sinken in die Tiefen der Ozeane, schätzt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Dies sei einer der Gründe, warum die Ozeane »entscheidend« für den Klimawandel seien.

Der Glibberschlamm im Marmarameer ist zugleich eine Folge der jahrzehntelangen Überfischung. Sie hat die Zahl der Tiere, die früher die Algen fraßen, drastisch verringert. Zum Fischsterben trägt auch die Umweltverschmutzung bei, etwa durch die Fäkalienabwässer der türkischen Millionenstädte.

Das kleine Marmarameer ist als Verbindung des Schwarzes Meeres mit dem Mittelmeer zudem eine der wichtigsten blauen Straßen. Täglich passieren drei Dutzend große Frachter und ungezählte kleinere Schiffe das Meer. Viele von ihnen verbringen ihren Müll ins Wasser. Durch den Bosporus fließen zudem ungeklärte Abwässer und landwirtschaftliche Düngemittel aus dem Schwarzen Meer in das tiefer liegende Marmarameer.

Die Saugbagger, die der türkische Umweltminister Murat Kurum jetzt auf seiner Twitter-Seite zeigt, können vielleicht Schlammberge kurzzeitig beseitigen. Doch auch der 22-Punkte-Plan, den Kurum am vergangenen Wochenende vorstellte, wird die diversen Meeresplagen nicht so schnell und schon gar nicht alleine beheben können.

Um einen umfassenderen Ansatz, der die Komplexität der Probleme und die globale Vernetzung berücksichtigt, bemühen sich die Vereinten Nationen. Sie riefen Anfang Juni die »UN-Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung« aus. Nachhaltige Entwicklung, aber auch menschliches Wohlbefinden und wirtschaftliches Wachstum hingen von gesunden Ozeanen ab, so die Botschaft.

In Deutschland startete das zu diesem Zweck gegründete Deutsche Ozeandekadenkomitee jetzt mit einem virtuellen Event, an dem Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) teilnahmen. Müller verdeutlichte, dass manche aufgeregte Katas-trophenerzählung in reichen Industriestaaten eher Luxusproblemen entspringe. Demnach transportieren nur zehn Flusssysteme rund 90 Prozent des Plastiks, das jedes Jahr in die Meere gelangt. Darunter finden sich acht asiatische Gewässer. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung von Forschern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig. Das meiste Plastik spült der Jangtse-Fluss in die Weltmeere, er fließt vom Hochland Tibets aus ins Ostchinesische Meer, dabei passiert er Megastädte wie Shanghai, die weltgrößte Hafenstadt.

Die Ozeane spielen eben nicht allein eine wichtige Rolle im Klimawandel und könnten als Energielieferant einen wichtigen Beitrag zu dessen Bewältigung leisten, sondern sie sind auch eine wertvolle Quelle für viele Ressourcen. So leben nicht allein die Fischer von Marmara von den Früchten des Meeres, sondern schätzungsweise 1,3 Milliarden Menschen weltweit - vor allem an den Küsten ärmerer Länder. Der hierzulande manchmal geforderte Verzicht auf Fischfang ist also keine nachhaltige Lösung. Oder wie ODK-Sprecherin Gesine Meißner betont: »Nur wenn Politik und Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam nach Lösungen suchen, kann mehr Nachhaltigkeit auch bei zum Teil unverzichtbarer Nutzung der Meere gelingen.«

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