Ein zweischneidiges Schwert mit Symbolkraft

Die Europäische Union belegt zum ersten Mal ganze Wirtschaftszweige von Belarus mit Sanktionen. Experten bezweifeln deren Wirksamkeit

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind noch nie dagewesene und äußerst harte Strafmaßnahmen: Auf dem heute beginnenden EU-Gipfel in Brüssel wollen die Regierungschefs zum ersten Mal sogenannte Sektoralsanktionen gegen Belarus beschließen. Im Gegensatz zu bisherigen punktuellen Strafnahmen gegen belarusische Staatsbetriebe und Regimevertreter richten sich diese gegen ganze Wirtschaftszweige des osteuropäischen Landes. Mit den Handelssanktionen reagiert die Union auf die erzwungene Landung eines Ryanair-Fliegers in Minsk.

»Wir wollen auf die Art und Weise einen Teil dazu beitragen, dass dieses Regime finanziell ausgetrocknet wird«, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Montag nach einem Treffen der EU-Außenminister, bei dem sich die Mitgliedstaaten auf die Maßnahmen verständigten. Noch deutlicher wurde Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. »Ich glaube, dass sind schon Sanktionen, die werden wehtun«, so der Politiker. »Und ich hoffe, so wehtun, dass dieses Regime in die Knie geht.«

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Betroffen sind sieben Industriezweige, deren Einnahmen nach Einschätzung der EU das Regime von Lukaschenko stabilisieren. So stoppt die Union den Import belarusischer Kali- und Düngemittel. Diese gehören zu den wichtigsten Devisenbringern des Landes. Rund 20 Prozent des weltweit produzierten Kaliumdüngers stammten 2020 vom staatlichen Düngemittelgiganten Belaruskalij. Auch der petrochemische Sektor - eine von Lukaschenkos wichtigsten Einnahmequellen - gerät ins Visier: Öl und Ölprodukte aus Belarus dürfen nicht mehr importiert werden. Seit Jahrzehnten beschafft der belarusische Präsident dringend benötigte Devisen mit der Weiterverarbeitung russischen Rohöls und dem Verkauf der raffinierten Petroprodukte. Weiterhin sollen die Sanktionen belarusische Tabakexporte unterbinden. Von den Einnahmen aus diesem Geschäft sollen nach Informationen der Onlinezeitung »EUobserver« hochrangige Beamte aus der Umgebung des Präsidenten profitieren, welche die Zigarettenschmuggler kontrollieren. Zudem wurde ein Exportstopp für sogenannte Dual-Use-Güter verhängt. Dabei handelt es sich um Waren, die zur zivilen Verwendung hergestellt wurden, aber auch für militärische oder polizeiliche Zwecke verwendet werden können. Im Fall von Belarus geht es zumeist um Überwachungstechnik. Davon betroffen ist auch die letzte Lücke in einem bereits seit Jahren geltenden Waffenembargo: Bestimmte Sportwaffen dürfen nun nicht mehr an Minsk geliefert werden.

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Darüber hinaus ist es Banken in der EU künftig untersagt, Geld an Belarus zu verleihen. Exportkredite, Investmentservices und der Wertpapierhandel sind gemäß neuer Sanktionen gegen belarusische Banken und Finanzdienstleister untersagt. Die Maßnahmen sollen Lukaschenko daran hindern, sein Regime mit frischem Geld zu versorgen. Gegen die Maßnahmen hatte sich in der EU zuvor Widerstand geregt. Nach einem Bericht des Nachrichtenportals »Politico« blockierte Österreich, dessen Raiffeisenbank und andere Geldinstitute stark in Belarus engagiert sind, noch in der vergangenen Woche eine Einigung. Bei dem EU-Treffen am Montag stellte sich Außenminister Alexander Schallenberg dann aber hinter die Strafmaßnahmen.

Kommentatoren beurteilen die Sanktionen, denen sich auch die USA, Kanada und Großbritannien anschließen wollen, als grundlegende Neuausrichtung der westlichen Politik gegenüber Belarus. »So etwas hat es im Verlauf früherer Krisen zwischen Minsk und dem Westen nicht gegeben«, analysiert der belarusische Politologe Walerij Karbalewitsch für das Portal Belaruspartisan. »In diesem Sinne sind die Sanktionen beispiellos.«

Dass sie Lukaschenko in die Knie zwingen, gilt Fachleuten indes als wenig wahrscheinlich. »Das ist eine Haltung, mit der man dieses komplizierte Instrument mit viel zu hohen Erwartungen überfrachtet«, zitiert der Auslandssender Deutsche Welle den Sanktionsforscher Christian von Soest. Es bestehe ein Zielkonflikt zwischen dem Versuch, das Regime zu strafen, und dem Wunsch, die belarusische Bevölkerung dabei nicht zu treffen. Dennoch setzten die Sanktionen ein wichtiges Signal zur Unterstützung der Opposition und der Bedeutung internationaler Normen.

Präsident Alexander Lukaschenko kündigte als Reaktion an, die Kontrollen an der Grenze zwischen Belarus und der EU auszusetzen. Er werde Polen, Litauen und Lettland nicht mehr vor illegaler Migration, Drogenhandel und Schmuggel schützen, drohte Lukaschenko am Dienstag in Brest. Die »Financial Times« berichtete bereits vor zwei Wochen über Migranten aus dem Irak und Syrien, deren illegaler Grenzübertritt von Belarus nach Litauen offenbar von Minsk toleriert wird. Litauen habe allein bis Mitte Juni 387 Flüchtlinge aufgehalten - fast doppelt so viele wie in den drei Vorjahren zusammen.

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