Herr der Prinzipien

Der einst gefeierte US-Journalist Glenn Greenwald gefällt sich als Ein-Mann-Querfront gegen die Regierung von Joe Biden

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 5 Min.

In den dramatischen Tagen der Snowden-Enthüllungen in Hongkong im Jahr 2013, kurz nachdem der NSA-Whistleblower nach Russland entkam, war der linksliberale Journalist Glenn Greenwald der schillernde Impresario und Spindoktor des Jahrhundertskandals. Snowden kannte die Praktiken der NSA inwendig; Greenwald durchschaute die mediale und politische Landschaft ebenso. Nun, acht Jahre später, wohnt Snowden, für seinen Geheimnisverrat unbegnadigt, noch in Moskau in der Verbannung. Aber auch Glenn Greenwald lebt gewissermaßen im selbst auferlegten Exil, in dem er heute in Sendungen der stramm republikanischen Fox News und des Rechtsaußen-Fernsehmoderators Tucker Carlson regelmäßig auftritt.

Damit stellt Greenwald, der mit dem brasilianischen Sozialisten David Miranda verheiratet ist, eine Art Ein-Mann-Querfront zur Regierung von Joe Biden dar, wo andere amerikanische Linksliberale der Biden-Regierung angehören oder sie beraten. Selbst der Senator von Vermont, Bernie Sanders, gibt sich zum ersten Mal in seinem Leben staatsmännisch. Greenwalds Entscheidung, sich zu Biden querzustellen, beruht darauf, dass er eine gefährliche Machtballung des US-Establishments von Silicon-Valley bis hin zu den linksliberalen Meinungsmachern konstatiert: geboren als eine Art Anti-Trump-Koalition, die sich durch die Ereignisse um den Sturm aufs Kapitol Anfang Januar zudem innerlich gefestigt hat. Doch wie kam Greenwald zu seiner radikalen Ablehnung?

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Quasi seit der Geburt im Jahr 1967 verläuft Greenwalds Leben im Zickzack, wie bei einem pikaresken Romanhelden. In Queens, New York, geboren, zogen seine der Mittelschicht angehörenden Eltern mit ihm als Säugling nach Südflorida, dahin, wo New Yorker erst üblicherweise zehn Jahre nach der Rente sein wollen. In Südflorida wuchs er ganz behütet auf. Erwähnenswert ist nur, dass ein Großvater mit einem Hang zum Sozialismus in Florida Stadtrat war.

Später besuchte Greenwald nicht die Schulen, die in Amerika auf eine erfolgreiche Karriere vorbereiten. Seinem Kampfgeist verdankt er, dass er sich, wieder in Manhattan, einen Namen als Rechtsanwalt und Bürgerrechtler machte. Kostenlos arbeitete er für Rechtsradikale wie Matthew Hale von der World Church of the Creator, um ihr Recht auf freie Rede zu verteidigen. Es gefiel Greenwald, für die Rechte der Andersdenkenden zu kämpfen, als ein Beweis der eigenen Prinzipienfestigkeit. In diesen frühen Versuchen entstand sein Hang zur Querfront-Taktik.

Die nächste Etappe war sein Blog »Unclaimed Territory«, zu Deutsch: Unbesetztes Gebiet, wo er - von der Juristerei gelangweilt - ab 2005 zu einem Gewinner der Internet-Revolution wurde. Jeden Tag postete er kritische Berichte über die Machenschaften der Bush-Regierung nach dem 11. September. Innerhalb kürzester Zeit, ohne langwierige Karriere bei der »New York Times« oder der »Washington Post«, fand er sich an der Spitze des amerikanischen Journalismus, gefeiert von Trendsettern wie Michael Moore oder Arianna Huffington.

Es ist dieser Werdegang, der zu Greenwalds Standing beitrug, etwa beim »Guardian« oder der von ihm mitbegründeten Investigativ-Website »The Intercept« die absolute Hoheit über seine Texte zu besitzen und niemals von einem Redaktionsstab redigiert zu werden. Im letzten Wahlkampf zwischen Trump und Biden verließ er »Intercept«, weil die Chefredaktion dort seinen kritischen Text zu Joe Biden redigieren wollte. Seitdem ist Greenwald quasi wieder Blogger, nun bei dere US-amerikanische Online-Plattform »Substack«. Dies ist der Anfang seiner Abkehr vom linksliberalen Establishment.

Das Autonome und das Anarchistische an Greenwald verbanden ihn mit Edward Snowden, seit dieser Greenwalds Aufmerksamkeit suchte, um seine Enthüllungen in der Presse zu veröffentlichen. Snowden hat einen konservativen südstaatlichen Hintergrund. Dass er Waffen liebt, war nur das Banalste, vor allem kämpfte er für das freie und autonome Internet seiner Jugend. Snowden, dessen Eltern beide für Washingtons Sicherheitsestablishment arbeiteten, wurde ein patriotischer Kritiker des Apparats von innen. Er baute die Überwachungsmacht der NSA mit auf und lehnte sie dann spektakulär ab.

Snowden und Greenwald wurden erst durch den Mut und die Konsequenz der Filmemacherin Laura Poitra zusammengebracht. Die Zusammenarbeit wurde das Wichtigste im Leben aller drei. Mit Greenwalds technischer Expertise als Unterstützung für Snowden konnte das Establishment Snowden nicht dämonisieren oder als geisteskrank darstellen. Greenwald, Gegner der Immunität der imperialen Präsidentschaft George W. Bushs, verband sich mit Snowden, Gegner eines immunen Sicherheitsapparates.

Greenwalds politisches Schreiben erwuchs aus seiner Gegnerschaft zur Bush-Regierung. Der jüngere und konservativere Snowden dagegen fing als Patriot an und wurde erst allmählich ein Gegner der Bush-Regierung, wie viele libertäre Republikaner, etwa Rand Paul, der die Anti-Steuer-, aber auch die Anti-Krieg-Bewegung unterstützt. Bei ihrer Ablehnung eines globalen, imperialen Amerikas hat Greenwald diese Libertären stets unterstützt - durch kleine Parteispenden und auch durch seine Reden für Institute wie das rechtslibertäre Cato-Institut.

Für diese Verbindungen nach rechts wurde er von Obama-Unterstützern wie dem Politologen Sean Wilentz schon im Jahr 2014 heftig kritisiert. Denn Snowden und Greenwald erregten ihren Skandal in den Obama-Jahren, weil sie glaubten, dass Obama keine Kurskorrektur von Bushs Überwachungspolitik bringen würde. Seine Kritiker stempelte Greenwald als »Obama-Kultisten« ab.

Doch inzwischen liegen die Trump-Jahre etwas zurück, und die meisten amerikanischen Linksliberalen sehen die Gefahr weniger in imperialen Kriegsgebärden, als in einem Angriff auf die amerikanische Zivilgesellschaft. Deshalb suchen so unterschiedliche Menschen wie Bernie Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez, Noam Chomsky oder George Soros den Schulterschluss mit Joe Biden. Lieber irgendwie pragmatisch die Kurve kriegen aus der jetzigen Krise, damit man später weiter an der Demokratie arbeiten kann, als jetzt Biden offensiv zu kritisieren.

Glenn Greenwald sieht das anders. Ist er, wie auch Snowden, eher ein romantischer Technokrat? Hat er eine naive utopische Vorstellung von einem Amerika mit einer perfekten Verfassung, die nur von dem jeweiligen Präsidenten geschützt werden muss? Oder hat Greenwald recht mit seiner Auffassung, dass Biden nur die Fehler der Obama-Regierung fortsetzt und letzen Endes scheitern muss? Hatte Greenwald - mal wieder - ein journalistisches Gespür dafür, woher der Wind weht, als er sich für das Exil des Andersdenken entschied?

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