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Sie nahmen mich gefangen
Der Verbrecher-Verlag begann als kleine Gaunerei. Jetzt wird er 30 Jahre alt
Jahrelang war das erste Wort, das ich beim Betreten der Räume des Verbrecher-Verlags hörte, ein mir laut entgegengeschmettertes »Faschist!«. Das kam immer von hinten links, wo damals noch Werner Labisch saß: Ihm hatte ich mal dargelegt, dass in innerlinken Diskussionen stets jene Person gewinnt, die den Widerpart als Erstes Nazi nennt. Das sei die Regel. Von da an war Werner daran gelegen, mir jedes Mal, wenn ich in den Berliner Mehringhöfen in den ersten Stock gekraxelt war, klarzumachen, dass, egal worüber wir reden würden, ich schon verloren hatte. Manchmal war er gerade am Telefon, als ich eintrat, aber das hinderte ihn nicht: In den Hörer hinein sagte er anschließend nur, dass gerade einer seiner Autoren das Büro betreten habe.
Werner Labisch sitzt da nicht mehr, er ist inzwischen Erzieher. Wer aktuell immer noch da sitzt, ist Jörg Sundermeier – und ihm gegenüber Kristine Listau. Inzwischen haben sie ein Team um sich herum geschart, das im Grunde kein Team ist, sondern eine Familie; soweit ich das beurteilen kann: eine warmherzige, zugewandte, zwar nicht immer mit allem glückliche, aber herzliche und liebevolle Familie.
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Es wäre freilich viel interessanter, ich könnte von verborgenen Zerwürfnissen berichten oder zumindest von groben Enttäuschungen. Es wird sie sicher geben: Schließlich ist es ein linker Verlag, da gehört es dazu, dass maus sich auch mal in den Haaren hat. Vor allem auch deswegen, weil der Verlag ja ursprünglich nur ein Scam war, um Texte abgreifen zu können: Sundermeier und Labisch hatten ursprünglich niemals vor, irgendwas zu verlegen. Sie wollten nur Manuskripte von Autor*innen lesen. Dummerweise gefiel ihnen dann das erste Manuskript, das sie derart hinterhältig abgriffen, so gut, dass sie doch ein Buch daraus gemacht haben: Dietmar Daths »Cordula killt dich! oder: Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung«. Wie sich das gehört, haben sie damals dem Layout nicht etwa die Diskette mit der korrigierten und lektorierten Fassung gegeben, sondern den Originaltext. Sie haben im Grunde das Manuskript gedruckt.
Weithin bekannt ist, dass der Name eines Abends während vieler Biere zustande kam, auch das Logo, das Werner Labisch auf einen Bierdeckel gezeichnet hatte. Für solche dem Exzess entsprungenen Entscheidungen hat maus sehr lange zu büßen: Ich weiß nicht, wie sich das heute gestaltet, aber so vor 15 Jahren waren die Hälfte aller unangefordert eingesandten Manuskripte irgendwelche Regio-Krimis. Ansonsten sind sie aber, glaube ich, alle zufrieden mit dem Namen.
Es gibt freilich eine ganze Reihe hervorragender Texte im Verlag (ich kann nur jene nennen, die ich auch gelesen habe): Manja Präkels, Anke Stelling, Dilek Güngör, Lisa Kränzler, Nino Haratischwili, auch diese komplett wahnsinnigen Gesamtausgaben der Mühsam-Tagebücher oder J. J. Voskuils »Das Büro«-Werk. All das sind wichtige, tolle Texte, die selbst aus diesem Programm noch herausstechen. Als Autor, der auch für viele Zeitungen geschrieben hat, kann ich sagen: Es ist ein ganz besonderes Geschenk, wenn maus sich für 95 Prozent der Texte, die neben den eigenen Büchern in einem Verlag erscheinen, nicht schämen muss.
Das Büro sieht immer noch aus, als lebte hier ein Papier scheißendes Nilpferd.
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Zu den Texten, die mich maßgeblich verändert haben, gehört unbedingt Gisela Elsner. Ihre Haltung und auch ihr Verständnis der Verhältnisse, ihr Verständnis von Satire, das gerade da auf eine Wahrheit zielt, wo andere nur eine Pointe suchen; ihre Aufrichtigkeit vor allem, ihre intellektuelle Integrität haben mir immer imponiert. Ironischerweise war für mich die Begegnung mit Elsners Werk ein Grund, sparsam zu werden mit den Witzen: Im Vergleich zu ihr wirken die meisten pointenfixierten Zeitgenoss*innen wie Fips Asmussen. Das Genie und die Wichtigkeit von Elsner zu erkennen, halte ich für eine herausragende verlegerische Leistung; sie erfolgte nämlich zu einem Zeitpunkt, als westdeutscher Kommunismus selbst nur als Blödelei galt.
Neben den Werken Elsners lese ich regelmäßig »Urlaub auf dem Land« von Peter O. Chotjewitz; einen der wenigen Krimis. Die spröde Eleganz dieses Romans erzählt viel von einem Autor, der sich nicht hat kompromittieren lassen; die heimelige Unlebbarkeit der Provinz habe ich selten klarer und leichter erzählt bekommen.
Und noch ein Buch, das ich häufiger in der Hand habe, ist »Meine 7000 Nachbarn« von Eva Ruth Wemme. Wemme ist Übersetzerin aus dem Rumänischen und dolmetscht unter anderem auch für rumänische Eingewanderte. Darunter sind viele Rom*nja, und deren Geschichten und Schicksale hat sie fast schon dokumentarisch zusammengetragen. Es sind kurze, präzise Abrisse, ohne große Girlanden drumherum, die aber gerade wegen dieser Nüchternheit von vielen Menschen erzählen, die kämpfen müssen, hart kämpfen, einfach um am Leben zu sein.
Der Platz, an dem Werner Labisch einst saß, ist jetzt der Arbeitsort von Kristine Listau. Als sie in den Verlag einstieg, wurde er tatsächlich moderner; ich würde auch sagen: radikaler und weltläufiger. Aus dem Projekt zweier Lese-Nerds, die sich über diesen Verlag nach und nach die kulturelle Welt Berlins erschlossen haben und dabei so viel Kraft und Leben hineinpumpten, dass sie selbst zum unverzichtbaren Teil dieser Welt wurden, wurde mit Kristine ein Projekt, das noch weit darüber hinauswies. Und der Laden wurde auch etwas professioneller. Nicht übertrieben professionell: Das Büro sieht immer noch aus, als wäre ein Papier scheißendes Nilpferd ein halbes Jahrzehnt in dieser Höhle eingeschlossen gewesen.
In der sehr schönen sozialpolitischen Elsner-Biografie »Die Welt, betrachtet ohne Augenlider« berichtet Tanja Röckemann von einem Brief, den ein Berliner Autorenkollektiv (darunter Amendt, Enzensberger und Dutschke) ihrem Verleger Ledig-Rowohlt schrieben. »Wir tun Dir den Gefallen, unsere wertvolle Produktivkraft in den Dienst Deines scheiß-kapitalistischen Unternehmens zu stellen, was wir so lange vorhaben zu tun, bis wir Dich mit anderen Liberalen im Prozeß der Kulturrevolution entweder mit einer Papiermütze durch Hamburg jagen oder Dir einen Freiflug in die ČSSR besorgen können.«
Solche Briefe sind Sundermeier und Listau keinesfalls in Gefahr zu bekommen, nicht nur, weil einen solchen maskulinistisch-selbstherrlichen Anklageschrift-Sound niemand mehr pflegt, die oder der in diesem Verlag veröffentlicht. Sondern vor allem auch, weil sie dafür keinen Anlass bieten. Seit nunmehr 30 Jahren bewahrt sich der Verbrecher-Verlag diesen Blick: nicht zynisch zu sein und trotzdem links. Nicht ideologisch zu sein und trotzdem verlässlich. Einer radikalen Menschlichkeit ein Gewand zu geben; egal, ob es sich auszahlt.
Dass es sich auszahlt, dass die Verbrecherinnen Erfolg haben, freut mich für sie; freut mich auch für die Welt, in der sie wirken; und auch für mich. Solange es Verbrecherinnen gibt, ist noch nicht alles im Arsch.
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