Großbritannien baut weiter Mauern

Neue Gesetzesvorlage erschwert den Zugang zu Asyl und kriminalisiert die Antragsteller

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn die britische Innenministerin Priti Patel eine »Reform« ankündigt, muss man sich stets auf eine Verschärfung gefasst machen. So verhält es sich auch mit der »Nationalitäts- und Grenzvorlage«, die Patel diese Woche veröffentlicht hat. Das Gesetz soll das Asylsystem »fairer und effektiver« machen, damit jene, die »wirklich Asyl brauchen, besser geschützt werden können«, heißt es von Regierungsseite. Bürger- und Menschenrechtsgruppen schlagen Alarm: Die Reform sei unmenschlich, unfair und rücksichtslos.

Patel will beispielsweise das Recht auf staatliche Unterstützung davon abhängig machen, wie jemand ins Land kommt: Wer es auf ungesetzlichem Weg tut - also etwa über den Ärmelkanal -, wird nicht mehr denselben Anspruch auf Hilfe haben wie jene, die auf legale Weise nach Großbritannien gelangen; selbst wenn der Asylantrag erfolgreich ist, wird nur der vorübergehende Flüchtlingsstatus gewährt. Auch könnten der Zugang zu Sozialleistungen und das Recht auf Familiennachzug begrenzt werden.

Zudem wird die Höchststrafe für »illegale Einreise« von derzeit sechs Monaten Gefängnis auf vier Jahre erhöht. Der Migrationsanwalt Colin Yeo schreibt, dass diese Regelung, wenn sie umgesetzt wird, zu Tausenden zusätzlichen Häftlingen in den britischen Gefängnissen führen werde.

Das Gesetz zielt auch darauf ab, andere Länder zu bestrafen, die den britischen Behörden nicht behilflich sind bei der Abschiebung von Asylbewerbern oder Straftätern: Wenn sich ein Land - zum Beispiel Frankreich - weigert, abgewiesene Asylbewerber aus Großbritannien zurückzunehmen, dann wird es das Innenministerium französischen Besuchern erschweren, an ein Visum zu kommen.

Ominös ist eine Klausel, die besagt, dass jemand, der Flüchtlingen dabei behilflich ist, nach Großbritannien zu kommen, keinen finanziellen Anreiz braucht, um sich strafbar zu machen. Organisationen, die in Seenot geratenen Flüchtlingen im Ärmelkanal helfen, könnten also strafrechtlich verfolgt werden.

Flüchtlingskampagnen und Bürgerrechtsorganisationen sind sich einig, dass das vorgeschlagene Gesetz genau jenen schaden wird, die die Hilfe am dringendsten nötig haben. Der Refugee Council (Flüchtlingsrat) hat ausgerechnet, dass rund 9000 Menschen, denen nach geltenden Regeln der Flüchtlingsstatus gewährt wird, unter dem neuen Gesetz kein Anrecht auf Schutz mehr hätten. Steve Valdez-Symonds von Amnesty International spricht von »legislativem Vandalismus«: »Dieses rücksichtslose und zutiefst ungerechte Gesetz wird Schande über den internationalen Ruf Großbritanniens bringen.«

Auch scheint der Vorstoß des Innenministeriums das vorgegebene Ziel zu verpassen, nämlich das Asylsystem effizienter zu gestalten. Im Gegenteil: Experten schätzen, dass die neuen Regelungen zusätzliche Verzögerungen und Komplikationen verursachen werden. Die Vorlage werde Flüchtlinge bestrafen, »weil sie sich erdreisten, in unserem Land Schutz zu suchen«, statt dass ein anderer Staat für sie zuständig bleibt, schreibt Anwalt Colin Yeo. Die ganze Debatte über Flüchtlinge und das »kaputte Asylsystem« wie es die Innenministerin formuliert, kommt zu einem merkwürdigen Zeitpunkt: Denn die Zahl der Asylanträge in Großbritannien ist derzeit so niedrig wie zuletzt vor über zehn Jahren. 2020 stellten gut 36 000 Menschen einen Asylantrag - wegen der Corona-Pandemie waren es weniger als im Jahr zuvor. In Deutschland gingen im selben Jahr rund 122 000 Asylanträge ein.

Aber der britischen Regierung geht es nicht zuletzt um Signalwirkung: Sie geriert sich als strenge Grenzwächterin, um ihren konservativen Wählerinnen zu zeigen, dass sie das Ziel der Migrationsbeschränkung ernst nimmt. Dabei haben die Britinnen und Briten mittlerweile eine weniger ablehnende Haltung zur Einwanderung als noch vor einigen Jahren: Laut einer Umfrage vom Januar wollen nur 49 Prozent der Bevölkerung, dass weniger Migranten ins Land kommen - 2015 waren es noch 67 Prozent.

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