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  • Lage von Flüchtlingen in Deutschland

Mehrheit der Syrer in Deutschland lebt weiter von Hartz IV

Zahl sinkt, aber langsam / Gründe oft fehlende formale Qualifikation sowie Beschäftigung im Niedriglohnbereich

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Berlin. Fast zwei Drittel aller erwerbsfähigen Syrer in Deutschland lebt ganz oder teilweise von Hartz IV. Mit 65 Prozent war der Anteil der Bezieher staatlicher Unterstützung unter Zuwanderern aus Syrien im März dieses Jahres deutlich höher als unter Ausländern aus anderen Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern wie etwa Somalia oder Afghanistan. Wie aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit weiter hervorgeht, bezogen 37,1 Prozent der Somalier im erwerbsfähigen Alter im gleichen Zeitraum Hartz-IV-Leistungen. Unter den Afghanen lag der Anteil bei 43,7 Prozent.

Die Statistik der Bundesagentur bezieht sich auf das Ausländerzentralregister. Dort sind nicht nur Asylbewerber registriert, sondern alle in Deutschland lebenden Menschen, die Staatsbürger eines anderen Landes sind. Allerdings ist ein Großteil der syrischen Staatsbürger hierzulande als Asylbewerber gekommen. Einige der früher zugewanderten Menschen aus Syrien besitzen zudem inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft.

Immerhin: Der Anteil der Leistungsbezieher unter den erwerbsfähigen Syrern ist im Vergleich zum Vorjahresmonat gesunken. Im März 2020 lag er noch bei fast 70 Prozent. Laut Bundesärztekammer stellen Syrer inzwischen die größte Gruppe unter den ausländischen Ärzten. Im vergangenen Jahr waren 4970 syrische Ärzte in Deutschland beschäftigt.

»Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass wir im Bereich der Integration noch viel vor uns haben«, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, der Deutschen Presse-Agentur. Der hohe Anteil syrischer Leistungsbezieher sei »angesichts der hohen Schutzquote und der somit vergleichsweise guten Bleibeperspektive bemerkenswert«. Die Annahme, dass ein sicherer Status zu einer schnelleren Integration in den Arbeitsmarkt führe, scheine sich hier nicht zu bestätigen.

»Statt, wie es die Grünen wollen, Anreize für gering- und unqualifizierte Einwanderung zu setzen, müssen wir uns daher auf die bereits hier lebenden Schutzberechtigten konzentrieren und unsere Bemühungen gerade im Bereich der Arbeitsmarktintegration verstärken«, sagte der CDU-Politiker.

Im April 2021 waren laut Bundesagentur 27,4 Prozent der Syrer im erwerbsfähigen Alter, 46,8 Prozent der Ausländer insgesamt und 63,1 Prozent der Deutschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wer einen Integrationskurs oder einen Berufssprachkurs besucht, wird nicht als Arbeitsloser gezählt, sondern als »Unterbeschäftigter«. Hartz IV erhält außerdem, wer so wenig verdient, dass er seinen Lebensunterhalt davon nicht allein bestreiten kann.

Der relativ hohe Anteil von Leistungsempfängern liegt laut einer Studie der Arbeitsagentur aus dem vergangenen Jahr unter anderem an der oft fehlenden formalen Qualifikation von Geflüchteten sowie der Beschäftigung in Bereichen mit »Entlohnung im unteren Entgeltbereich«. Gut ein Viertel der Geflüchteten habe Hochschulen oder berufliche Bildungseinrichtungen besucht und 16 Prozent hätten einen Abschluss. Unter der in Deutschland geborenen Bevölkerung verfügen vier Fünftel über berufliche oder akademische Abschlüsse.

»Generell kann man sagen, dass die Arbeitslosenquote bei Flüchtlingen in den ersten Aufenthaltsjahren immer besonders hoch ist«, sagte Panu Poutvaara, Mitglied des Sachverständigenrates für Integration und Migration. Aus keinem anderen Land seien seit 2015 so viele Asylbewerber nach Deutschland gekommen wie aus Syrien. Das bedeute, dass sich Flüchtlinge, die von dort stammen, oft kürzer in der Bundesrepublik aufhalten als Flüchtlinge anderer Nationalitäten. Dies erkläre teilweise, warum Flüchtlinge mit kürzerer Aufenthaltsdauer einen höheren Anteil an Empfängern staatlicher Hilfe ausmachten.

Dass der Anteil der Beschäftigten unter den Geflüchteten aus Syrien geringer sei, habe womöglich auch mit dem relativ hohen Anteil von Frauen in dieser Gruppe zu tun. Etwa 40 Prozent der syrischen Geflüchteten seien weiblich. Viele syrische Frauen seien nachgezogen und daher noch nicht lange im Land. Oft stünden sie dem Arbeitsmarkt wegen der Betreuung von Kleinkindern nicht zur Verfügung. Auch kulturelle Gründe könnten hier eine Rolle spielen.

Poutvaara, der das ifo Zentrum für Migrationsforschung leitet, ist überzeugt: »Der Anteil der syrischen Flüchtlinge, die staatliche Hilfen empfangen, wird in den kommenden Jahren erwartungsgemäß weiter abnehmen - auch wenn die Corona-Pandemie vorübergehend äußerst negative Auswirkungen auf ihre Beschäftigungschancen gehabt hat.« Da sich nur sehr wenige Flüchtlinge in Beschäftigungsverhältnissen befänden, in denen die Arbeit vom Homeoffice aus erledigt werden könne, seien sie von den mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen stärker betroffen als die Gesamtbevölkerung. dpa/nd

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