Besorgt über steigende Zahlen

Nächtliche Ausgangssperren wegen Covid in Spanien erneut Thema

  • Ralf Streck, Barcelona
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war ein harter Schlag für die spanische Regierung, dass das Verfassungsgericht am Mittwoch den harten Lockdown im vergangenen Jahr als verfassungswidrig einstufte. Die Entscheidung fiel mit sechs zu fünf Stimmen. Die Mehrheit der Richter sieht im dekretierten Alarmzustand keine ausreichende Rechtsgrundlage, um die Bevölkerung angesichts der Covid-Pandemie in ihren Wohnungen einzusperren. Dafür müsse der Ausnahmezustand ausgerufen werden. Es war also illegal, dass die Menschen im Frühjahr 2020 zwei Monate lang ihre Wohnungen nur aus bestimmten Gründen verlassen durften. Selbst Kinder durften nicht einmal, wie etwa in Frankreich, für eine Stunde am Tag mit den Eltern aus dem Haus. Mit dem »Maulkorbgesetz« wurden unzulässig 1,2 Millionen Bußgelder verhängt. Diese sind nach Angaben von Juristen nun nicht automatisch nichtig. Betroffene müssen dagegen erst Einspruch einlegen.

Die Entscheidung des Gerichts fällt mit der Tatsache zusammen, dass Spanien, getrieben von der ansteckenderen Delta-Variante, mitten im Urlaubssommer die fünfte Welle der Epidemie erlebt. Mehrere Regionen, wie das besonders betroffene Katalonien, wollen nun erneut nächtliche Ausgangssperren verhängen. Man habe zwar »mit einem Anstieg gerechnet, aber nicht mit einer Explosion der Fälle«, erklärte der katalanische Gesundheitsminister Josep Maria Argimon mit Blick auf die Infektionszahlen.

Seit vergangener Woche sind die Diskotheken bereits wieder geschlossen. Nun müssen auch Bars und Restaurants wieder ab 0.30 Uhr schließen, da die Regierung von »hohen Inzidenzwerten über Wochen ausgeht«. Diese hatte prüfen lassen, ob eine nächtliche Ausgangssperre rechtlich möglich ist, ohne erneut den Alarmzustand auszurufen. »Wir treffen eine schwierige, aber unumgängliche Entscheidung«, erklärte der katalanische Regierungschef Pere Aragonès am späten Mittwoch. Die Ausgangssperre soll zwischen ein Uhr und sechs Uhr gelten.

Wie in Kantabrien, das angesichts der Lage ebenfalls wieder auf diese Maßnahme setzt, muss sie in Katalonien von seinem Obersten Gerichtshof bestätigt werden. Beide Regionen orientieren sich bei ihrem Vorgehen an der Provinz Valencia. Dort gilt die Ausgangssperre bereits wieder, war nur gut einen Monat nach ihrer Aufhebung wieder eingeführt worden. Allerdings nicht generell, sondern nur für Gemeinden mit besonders hohen Inzidenzwerten. Das wurde vom Obersten Gerichtshof Valencias genehmigt.

Ähnlich will man es nun in Katalonien machen, das in 158 Gemeinden, darunter Barcelona, Tarragona und Girona, nächtliche Ausgangssperren einführen will. Ob Katalonien oder Kantabrien die Genehmigung dafür erhalten, ist unklar. Am Mittwoch hatte der Oberste Gerichtshof der Kanaren der dortigen Regionalregierung dieses Mittel versagt. Ohne dieses halten es Experten aber für praktisch unmöglich, eine Verlagerung von Feiern aus den Bars hinaus auf die Straßen, Plätze und an den Strand zu verhindern.

In ganz Spanien spitzt sich die Lage immer deutlicher zu. Die 7-Tage-Inzidenz ist im Landesdurchschnitt schon auf 271 pro 100 000 Einwohner gestiegen. Damit liegt sie seit dem Wochenende über der Hürde von 200, nach der die deutsche Bundesregierung das Land als Hochinzidenzgebiet einstufen müsste. Für Reisende würden damit strengere Quarantäneregeln gelten. In Katalonien ist die Inzidenz sogar schon auf 587 gestiegen. Besonders schlecht entwickelt sich die Lage auch im zentralspanischen Kastilien-Leon.

Inzwischen spiegeln sich die Infektionszahlen auch in einer steigenden Belegung der Hospitäler mit Covid-Patienten wieder. Innerhalb einer Woche hat sich deren Zahl auf 4 500 fast verdoppelt. Auch der Druck auf die Intensivstationen im ganzen Land nimmt zu, wo nun fast 800 Covid-Patienten um ihr Leben kämpfen. »Die primäre Gesundheitsversorgung befindet sich schon seit Wochen am Rand des Kollapses«, schildert gegenüber »nd« die Immunologin Odette Viñas die Entwicklung, die nicht nur für ihr Hospital Clínic in Barcelona gilt. Sie verweist auch darauf, dass das Durchschnittsalter von Covid-Patienten stark gesunken ist. 25 Prozent der Intensivpatienten sind unter 40 Jahre, das Durchschnittsalter ist auf 50 gesunken. 80 Prozent von ihnen sind nicht geimpft.

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