Tanzen für die Auflösung der Asylheime

Flüchtlingsselbsthilfeorganisation »Women in Exile« geht auf Sommertour

In ihrer Heimat Pakistan wurde Kalsoonm Tayeba Ahmad von ihrem ersten Ehemann vergewaltigt. Er zwang sie, anderen Männern zu Willen zu sein. Sie verließ diesen Partner und kam aus Angst vor ihm im März vergangenen Jahres nach Deutschland, in die brandenburgische Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt. Von dort gelangte Ahmad in ein Asylheim in Oderberg, wo es Streit um die wenigen Duschen gab und zu wenig Platz zum Kochen. Inzwischen lebt die Frau mit ihrem zweiten Ehemann in einem Appartment in einem Heim in Eberswalde. »Dort ist es besser«, erzählt sie. Noch besser wäre jedoch eine richtige Wohnung. Kein Flüchtling sollte in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen. Alle sollten in Wohnungen untergebracht werden, fordert die Pakistanerin.

Damit steht sie nicht allein. Gemeinsam mit 40 anderen Frauen und Kindern beteiligt sie sich jetzt an einer Tour der Flüchtlingsselbsthilfeorganisation »Women in Exile« (Frauen im Exil). Mit dem Bus geht es mehrere Tage lang nach Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Dort wollen sie andere Flüchtlinge besuchen und ermutigen, sich gegen Rassismus zu wehren und eine menschenwürdige Behandlung und Unterbringung zu verlangen. Zum Programm gehören Demonstrationen, bei denen auch über die schlaflosen Nächte informiert werden soll, die Flüchtlinge aus Angst vor ihrer Abschiebung verbringen.

Zum Start der Tour gibt es am Mittwoch ab 11 Uhr auf dem Steubenplatz am Potsdamer Landtag eine Kundgebung. Die Initiative »Potsdam-Konvoi« hat das zusammen mit der Gruppe Seebrücke Potsdam vorbereitet, Kuchen gebacken und Getränke eingekauft, um die Flüchtlingsfrauen und ihre Kinder gut zu versorgen, bevor diese gegen 13.30 Uhr auf die Reise gehen.

Entstanden sei »Potsdam-Konvoi«, nachdem im September 2015 kurzfristig ein zuvor vom Sozial- und vom Umweltministerium freigezogenes Gelände an der Heinrich-Mann-Allee 103 als Notunterkunft für die vielen damals in Brandenburg ankommenden Flüchtlinge verwendet wurde, erzählt Mitstreiterin Deena Caspary. Die Behörden waren überfordert. Doch 150 Einwohner halfen. Gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten und dem Deutschen Roten Kreuz wurden bis 22 Uhr Teppiche gesaugt, Fußböden gewischt und Feldbetten aufgestellt, bis die ersten 290 Syrer eintrafen. Der Stadtverordnete Sascha Krämer (Linke) war damals dabei. Als Ende 2016 erst Ungarn und dann auch andere Staaten ihre Grenzen schlossen, war die Balkanroute versperrt. Es kamen kaum noch Flüchtlinge durch. Die Bürgerinitiative hatte aber viele Spenden übrig und brachte sie in einem Konvoi nach Idomeni, einen griechischen Ort an der Grenze zu Mazedonien, in dem bis zu 12 000 Flüchtlinge gestrandet waren. Daher der Name »Potsdam-Konvoi«.

»Wir dachten uns: Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, dann müssen wir zu ihnen fahren«, berichtet Caspary. Das Lager in Idomeni ist inzwischen schon lange aufgelöst. Aber die Initiative hat sich seitdem immer neue Aufgaben gesucht, die mit der Unterstützung von Flüchtlingen zu tun haben. Der für die Kundgebung auf dem Steubenplatz gebackene Kuchen gehört dazu.

Während die Pakistanerin Ahmad und andere Geflüchtete die Fragen von Journalisten beantworten, beginnen etliche schwarze Frauen zu tanzen, eine davon mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm. Schließlich skandieren alle zusammen: »Lager zu!« Mitten unter diesen Frauen ist Madleine Mawamba. Sie stammt aus Kamerun und engagiert sich seit neun Jahren bei »Women in Exile«, ist auch schon mehrfach bei den Sommertouren der Organisation mitgefahren, die jedes Jahr in andere Regionen der Bundesrepublik führen. Gegründet wurde »Women in Exile« 2002 in Potsdam. Seit 2011 gibt es die Bezeichnung »Women in Exile & Friends« (und Freunde), was darauf hindeutet, dass auch einheimische Unterstützer mitmachen dürfen. Inzwischen engagieren sich etwa 50 Frauen, die zum Beispiel aus Afrika, Afghanistan oder Russland nach Berlin und Brandenburg geflüchtet sind, berichtet Mawamba. »Bei unserem Plenum treffen sich sogar 100 bis 150 Frauen«, sagt sie. Allerdings konnten sich die Mitstreiterinnen während der Coronakrise lange nicht persönlich begegnen, sondern nur per Videokonferenz miteinander kommunizieren.

Mawamba hat am eigenen Leib erlebt, wie sich Diskriminierung anfühlt. Nachdem sie eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche hatte, suchte sie eine Wohnung in Berlin. »Ich hatte 15 Wohnungen besichtigt, aber nie eine bekommen. Dann habe ich gemerkt: Das ist Rassismus. Sie geben mir keine Wohnung, weil ich eine schwarze Frau bin.« Beim Gespräch mit den Vermietern schien am Telefon noch alles glatt zu laufen. Doch wenn sie denen dann gegenüberstand, hatte sie das deutliche Gefühl, es liegt an ihrer Hautfarbe. Einmal kam erst ewig kein Besichtigungstermin zustande. Sie wurde immer wieder vertröstet. Schließlich drohte sie, mit anderen Menschen zu kommen und gegen diesen Rassismus zu protestieren. Dann hieß es plötzlich, sie könne sofort kommen. Das war ein gutes Beispiel dafür, dass man sich nicht alles gefallen lassen soll. Eingezogen ist Mawamba dann schließlich woanders. Ein Freund besorgte ihr eine Bleibe in Berlin-Kreuzberg.

Das Problem in Brandenburg ist, dass viele Landkreise vor fünf, sechs Jahren schnell Asylheime hochziehen ließen, als dringend Unterkünfte für die seinerzeit ankommende große Zahl von Flüchtlingen benötigt wurden. Wenn sie jetzt umgehend allen Flüchtlingen Wohnungen geben, würden diese Heime leerstehen. Die Investitionen müssen sich aber über die Jahre refinanzieren. Die Linke ist prinzipiell für die Unterbringung in Wohnungen. Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten erklärt die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke): »Das wäre ein langfristiger Prozess. Der muss politisch gewollt sein. Die Linke wäre dafür.«

Die Kundgebung wird von zwei Streifenwagen gesichert. Zu einem der Fahrzeuge laufen die kleinen Kinder einer schwarzen Frau. Während das Mädchen schüchterner ist, betastet der Junge das Polizeiauto von allen Seiten und spielt, dass er den Wagen wäscht. Der Beamte am Steuer steigt lächelnd aus und spricht mit dem Jungen und der Mutter. Die Kinder dürfen sich alles genau ansehen, und zu ihrer Freude schaltet der Polizist auch kurz das Blaulicht ein. Es ist eine sehr schöne Szene, die beinahe vergessen macht, welche Furcht viele Flüchtlinge vor Polizisten haben - wegen schlechter Erfahrungen in ihren Heimatländern oder auf der Flucht, aber auch, wenn sie mitbekommen haben, wie deutsche Polizisten in den frühen Morgenstunden bei Landsleuten geklingelt und sie zur Abschiebung zu einem Flughafen gebracht haben.

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