Biene für den Bundestag

Unabhängige Kandidatin Lu Yen Roloff kommt verkleidet zu CDU-Politikerin

Die Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig (CDU) ist unter die Hobbyimker gegangen. Fünf Bienenvölker hat sie und verschenkt den Honig am Samstag an Besucher des Bauernmarkts auf dem Weberplatz in Potsdam-Babelsberg. Am 26. September sollen sie im Bundestagswahlkreis 61, der aus Potsdam und Umgebung besteht, für Saskia Ludwig stimmen. So steht es auf den kleinen Gläschen mit naturbelassenem, im Juni geschleuderten Akazienhonig, der übrigens ganz ausgezeichnet schmeckt.

Doch Lu Yen Roloff nimmt es nicht hin, dass die CDU-Politikerin den Wählern »Honig ums Maul schmiert«. Roloff hat 113 Unterschriften von Unterstützern aus dem Wahlkreis eingereicht und tritt am 26. September als unabhängige Kandidatin an. Ohne eine Partei im Rücken, musste sie sich etwas einfallen lassen, um von den Medien und der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. So hat sie sich mit zwei Freundinnen als Biene verkleidet und summt am Samstag gegen 10 Uhr plötzlich vor dem Infostand der CDU herum. Die drei Frauen halten Pappschilder in den Händen, auf denen »Klimawahl« und »Die CDU-Agrarlobby tötet« steht.

Saskia Ludwig kennt das schon und sieht darüber hinweg. Denn Lu Yen Roloff wiederholt hier nur, was sie vor einiger Zeit bereits in Stahnsdorf genauso gemacht hat. Doch der Marktleiter reagiert verärgert. »Schluss hier«, schimpft er und möchte Lu Yen Roloff und ihre Mitstreiter vom Weberplatz werfen und das Fotografieren unterbinden. Sein Argument: Im Gegensatz zur CDU und der daneben mit einem Stand platzierten Kleinstpartei »Die Basis«, die aus der Querdenkerbewegung hervorging und gegen die Corona-Maßnahmen Stimmung macht, hat sich Roloff nicht vorher beim Marktleiter angemeldet. Erst weichen die Frauen im Bienenkostüm, dann schwirren sie wieder herbei und sinken schließlich wie tot zu Boden, wo sie eine ganze Weile demonstrativ liegen bleiben. Roloff schlägt die Augen erst auf, als eine alte Dame herbeiläuft und schmunzelnd zu ihr sagt: »Steh doch auf, Biene Maja!«

Zwei Frauen von der CDU sprechen Roloff ebenfalls an, darunter Tanja Mutschischk, Parteivorsitzende in Babelsberg. »Ich komme aus dem Umweltschutz, ich komme aus dem grünen Bereich«, betont Mutschischk. »Wir sind nicht perfekt, aber wir machen seit Jahren Klimaschutzpolitik vor Ort. Wir müssen uns damit nicht profilieren. Andere reden, wir machen was.« Die zierliche blonde Frau zeigt auf den Klimabaum, den sie am Weberplatz gepflanzt hat. Es ist ein Gewächs, das besonders viel CO2 bindet. Es sei nicht fair, mit dem Finger auf die CDU zu zeigen.

Lu Yen Roloff erkennt die Bemühungen von Tanja Mutschischk an, auch die Hobbyimkerei von Saskia Ludwig sei nicht schlecht. »Es ist schön, wenn sich jemand privat um Bienen kümmert«, bestätigt sie. Aber: »Wenn die CDU auf struktureller Ebene genau das Gegenteil tut, dann ist das Greenwashing.« Als Greenwashing wird etwa bezeichnet, wenn sich Firmen durch Werbekampagnen oder Spenden für Umweltschutzprojekte ein ökologisches Image verpassen, selbst aber die Natur durch ihre Produktionsweise massiv schädigen.

»Es ist Fakt, dass die CDU den Klimaschutz seit 16 Jahren blockiert zugunsten der Industrie«, unterstreicht Roloff. »Die Marktwirtschaft soll weiter entfesselt werden, dabei ist diese der Grund für die Klimakatastrophe.« Die Todesopfer des Unwetters in Westdeutschland gehen für die 44-Jährige eindeutig auf das Konto dieser Politik. »Wenn wir so weitermachen, haben wir Ende des Jahrhunderts eine globale Erwärmung um drei bis sechs Grad Celsius«, warnt die unabhängige Kandidaten, die nach eigenen Angaben niemals in ihrem Leben einer Partei angehörte. Sie ist von Beruf Journalistin und hat mal für die Umweltorganisation Greenpeace gearbeitet. Zuletzt engagierte sie sich bei der Klimaschutzbewegung »Extinction Rebellion«, die eine Strategie des zivilen Ungehorsams verfolgt. Diese Bewegung ist in Kritik geraten, weil ihr Gründer, der Brite Roger Hallam, das durch die Klimakatastrophe drohende Massensterben mit dem Holocaust verglich. Davon distanziert sich Roloff. Gerade in Deutschland sei das ein unmöglicher Vergleich, weiß sie.

Sie weiß auch, dass es lediglich bei der ersten Bundestagswahl 1949 wenige unabhängige Kandidaten ins Parlament geschafft haben und danach nie wieder. Trotzdem möchte die 44-Jährige mit ihrer Kampagne im Wahlkreis 61 einerseits ein Zeichen setzen und andererseits die erste sein, der das Kunststück seit 1949 gelingt. Mitbewerberin Annalena Baerbock von den Grünen bescheinigt sie, dass deren Partei in Sachen Klimaschutz sicher am weitesten sei. Aber das reiche noch nicht aus.

Es wird allgemein erwartet, dass im Wahlkreis 61 Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Grünen-Chefin Annalena Baerbock den Sieg unter sich ausmachen. Außenseiterchancen werden aber auch den Abgeordneten Saskia Ludwig (CDU) und Norbert Müller (Linke) eingeräumt. Nun könnte es durchaus sein, dass Roloff den verschiedenen, mehr oder weniger linken Kandidaten Stimmen wegnimmt und damit der selbst für CDU-Verhältnisse weit rechts stehenden Ludwig zum Sieg verhilft. Das ficht Roloff aber nicht an. Baerbock und Scholz seien über die Landeslisten ihrer Parteien abgesichert und ziehen so oder so in den Bundestag ein, sagt die energiegeladene Frau mit den Sommersprossen, der neben dem Klimaschutz auch die soziale Gerechtigkeit sehr wichtig ist.

Nicht auf der Landesliste seiner Partei steht aber Sozialist Norbert Müller. Wenn er nicht im nächsten Bundestag sitzt, dann würden Gegner des umstrittenen Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche wie Lutz Boede das als Verlust empfinden. So erklärt es Boede am Samstag auf dem Bauernmarkt am Weberplatz, wo er Unterschriften für einen Potsdamer Mietendeckel sammelt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal