Nestor der Rechtsmedizin, Wanderer zwischen den Welten

Sonderausstellung im Polizeipräsidium Berlin erinnert an den Charité-Gerichtsmediziner Otto Prokop

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

»Gerichtsmedizin und Polizei gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille, könnte man sagen, und sie können in Berlin auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückblicken.« Mit diesen Worten eröffnete Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Dienstag eine öffentlich zugängliche Sonderausstellung in ihrem Dienstsitz am Platz der Luftbrücke. Gewidmet einem Wissenschaftler der Berliner Charité, der dieses Haus in der DDR, aber auch die Gerichtliche Medizin im geteilten Deutschland prägte, ihnen internationales Renommee verschaffte: dem Gerichtsmediziner Otto Prokop (1921-2009).

Slowik zufolge sei das Hand-in-Hand-Arbeiten von Polizisten und Gerichtsmedizinern erstmals in Berlin um 1900 im Zuge der Spezialisierung der Mordaufklärung eingeführt worden, es habe sich bis heute bewährt. Allerdings hatte gerade diese Einheit zu Jahresbeginn Risse erhalten, nachdem ein Privatlabor vor Gericht gegen die seit Jahrzehnten erprobte Praxis geklagt hatte, nach der die Berliner Polizei bei Ermittlungen die landeseigene Charité mit den DNA-Analysen beauftragt. Das günstigste Angebot sollte über die Auftragsvergabe entscheiden.

Ausstellung erstmals öffentlich zugänglich

Es ist daher eine gute Nachricht für den Gerichtsmedizinstandort Berlin, dass der im April nur aufgeschobene Streit über die Zukunft der DNA-Forensik zwischen drei Senatsverwaltungen, Polizei und Hochschulklinik offenbar vom Tisch ist. Die Polizeipräsidentin sagte am Rande der Ausstellung zu »nd«: »Gemeinsam mit der Charité haben wir eine einvernehmliche Lösung gefunden, die sich dahin entwickelt, dass wir als Landeskriminalamt alle DNA-Proben künftig selbst durchführen werden.«

Doch zurück zur Ausstellung »Sezierte Wahrheiten«, so ihr Titel. Die stand zuvor bereits in der Charité, war aber coronabedingt nicht öffentlich zugänglich. Thematisch knüpft sie an die dritte Staffel der ARD-Serie »Charité« an und zeigt ein breiter angelegtes Bild des Gerichtsmediziners.

Sven Hartwig, Abteilungsleiter Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin der Charité, beschreibt Otto Prokop - »immer mit der Fliege und immer mit Anspruch« - als Wanderer zwischen den Systemen. Mit seiner Familie sei der österreichische Staatsbürger 1957 von Bonn, der Bundeshauptstadt West, nach Ostberlin, der Hauptstadt der DDR, übergesiedelt. »Dem Ruf an die renommierte Berliner Charité folgte Prokop als ehrgeiziger junger Gerichtsmediziner wohl auch deshalb, weil es um die Besetzung eines der berühmtesten und ältesten Lehrstühle für Gerichtliche Medizin in Europa ging. Gegründet 1833 an der Berliner Universität ist es sogar der älteste dieses Faches in Deutschland«, so Hartwig. Prokop übernahm die Professur für Gerichtliche Medizin und wurde Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts der Charité.

In fünf Kapiteln folgt die Ausstellung Prokops ungewöhnlichem Lebensweg. Vor den jeweiligen zeithistorischen Hintergründen werden die medizinischen Schwerpunkte seines Schaffens erkennbar, zu denen Hartwig »Blutgruppenkunde, Serologie, DNA-Genetik, Kampf gegen Okkultismus und unwissenschaftliche Heilmethoden, forensische Traumatologie und Thanatologie, die Lehre vom Tod« zählt. Erinnert wird an wichtige Fälle aus seiner gerichtsmedizinischen Praxis; sie belegen, was für Prokop zählte: gut dokumentierte Befunde vom Tatort, nüchterne Beobachtungen am Leichnam und sorgfältig ermittelte Ergebnisse aus dem Labor.

Kalter Krieg und Staatsnähe

Im Spannungsfeld des Kalten Kriegs sezierten er und sein Team auch mehrere »Mauertote«, was ihn beruflich in die Nähe zur Staatsgewalt brachte. Politisch hielt Prokop Distanz, trug aber loyal die gesellschaftlichen Verhältnisse mit. »Haltlose Anschuldigungen nach der Wiedervereinigung, er hätte Falsch- oder Gefälligkeitsgutachten erstellt, trafen ihn, der gutachterliche und politische Unabhängigkeit als Maxime lebte, am Ende persönlich schwer«, erinnerte Hartwig.

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