Die Landschaft ist der Star

»Die Adern der Welt« zeigt die Mongolei von heute, wo Reste von Nomadenkultur noch existieren

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist der älteste Klassenkampf der Welt. Nomaden gegen Bauern, Viehzucht gegen Agrarkultur. Abel wurde Schäfer, Kain aber Ackermann. Und historisch adäquat schlägt der Landnehmer den Viehhüter tot. In der Nomadenkultur ist der welthistorische Sündenfall noch nicht eingetreten. »Der Erste«, donnert es bei Rousseau, »der ein Stück Land einzäunte und sich einfallen ließ zu sagen: Dies ist mein - und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not, Elend und Schrecken hätte dem Menschengeschlecht erspart, wer die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ›Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.‹«

Der Nomade nimmt das Land als Naturquelle wie die Luft, die er atmet. Er zieht weiter, lässt es hinter sich und damit den anderen. Oder der Regeneration. Er widersetzt sich schon durch seine Lebensweise der Akkumulation des Kapitals. Und ebendavon handelt dieser Film mit dem mehrdeutigen Titel »Die Adern der Welt«. Er zeigt uns die Mongolei von heute, wo Reste von Nomadenkultur noch existieren und aus der Welt gedrängt zu werden drohen.

Als Nomade zu leben, das ist heute nur noch dort möglich, wo Land keinen anderen Wert hat, als Lebensraum für Tiere zu sein: in wenig fruchtbaren, dünn bewachsenen, kargen Landschaften wie Wüsten oder Steppen, wo kaum Kulturpflanzen wachsen und deren Bepflanzung mehr kostete, als sie einbrächte. Das ändert sich aber, sobald Bodenschätze entdeckt werden. Land wird gekauft für das, was sich darunter befindet, es selbst ist bloß noch im Weg. Wie auch alles, was drauf kreucht.

In der Mongolei gibt es Schätze, Gold insonders. Mit Billigung der Regierung kaufen private Unternehmer immer mehr Flächen. Der Boden wird weder genutzt noch kultiviert, man plündert ihn aus. Die Adern der Welt können als das Wasser verstanden werden, ohne das Viehzucht oder Ackerbau nicht möglich sind. Sie können aber auch die Goldvorkommen meinen.

Byambasuren Davaa, Regisseurin und Autorin, erzählt davon, ohne in rührselige Ursprungsromantik zu versinken. Ihre Parteinahme ist eindeutig, nicht stumpfsinnig: Der zwölfjährige Amra (Bat-Ireedui Batmunkhw) führt in den mongolischen Weiten mit seinen Eltern ein traditionelles Nomadenleben. Seine Mutter Zaya (Enerel Tumen) kümmert sich um die Ziegenherde, sein Vater Erdene (Yalalt Namsrai) verkauft den Ziegenkäse auf den Märkten der Region; zugleich wartet und repariert er Maschinen für seine Nachbarn und die örtliche Goldmine, die einem ausländischen Bergbauunternehmen gehört. Erdene berät sich mit anderen Familien, auf welche Weise Widerstand gegen die Landnahme machbar ist. Naturgemäß spiegeln die Mitglieder im Rat all die möglichen Haltungen einer solchen Situation, von Opportunismus und Resignation bis Hoffnung und Kampfbereitschaft.

Amra hat derweil etwas anderes im Hinterkopf. Er will in der TV-Show »Mongolia’s Got Talent« auftreten und dort den fiktiv-traditionellen Song »Die Adern aus Gold« singen. Doch die Umstände zwingen ihn, in die Schuhe des Vaters zu wachsen. Amra kämpft nun dessen Kampf, aber mit eigenen Mitteln.

In der Tat, die Story ist so schlicht wie die Landschaft, in der sie spielt, und könnte wohl ohne die großartige Inszenierung nicht standhalten. Das seltene, besonders breite 2:1-Format lässt die Landschaft in einer großen Zahl von Panorama-Einstellungen, die mit viel Geduld und Ruhe festgehalten sind (immer ein paar Sekunden länger, als man erwartet), so stark wie möglich zur Geltung kommen. Die Landschaft ist der Star, sie spielt hier eigentlich die Hauptrolle. Traditionelle Musik, mongolische Geige und Obertongesang erzählen dieselbe Gediegenheit in ihrem Medium nach. Das wirkt lange Zeit und ganz besonders in der Schlusssequenz wie aus einem Guss und überwältigend. Hier soll alles sein, als stehe die Zeit schon immer still, während wir aber wissen, aus dem Ablauf der Handlung, dass sie längst an dieser Landschaft nagt.

Der Widerspruch strukturiert auch die Handlung selbst. Die Familie steht längst auf beiden Seiten des Zauns. Erdene, wie erwähnt, verdient als Nomade nicht genug und muss, zugleich sein Geschick für Technik nutzend, die Geräte der verhassten Goldmine reparieren. Das will etwas sagen. Nämlich dass die Lösung beim Widerstand gegen die kapitalistische Landnahme nicht in einem bloßen Zurück zur urtümlichen Nomadenkultur gefunden werden kann, die heute nicht mehr lebensfähig wäre. Sondern in der Vermittlung von Fortschritt und Kultur, und die muss gesamtheitlich geschehen, durch Gesetze und eine gezielte Politik in der Hauptstadt.

Nur leider gelangt auch der Film nicht zu einer organischen Lösung. Seine große Schwäche liegt in der unzureichenden Verknüpfung von Thema (Kulturvernichtung durch Kapital) und Handlung (Junge verfolgt seinen Traum). Wir sehen das eine, wir sehen das andere, beides nicht ungern, aber es wird nicht eins.

»Die Adern der Welt«: Deutschland, Mongolei 2020. Regie und Buch: Byambasuren Davaa. Mit: Bat-Ireedui Batmunkhw, Enerel Tumen, Yalalt Namsrai. 95 Min. Start: 29. Juli.

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