Kaczyński mit dem Kopf durch die Wand

Polens rechtskonservatives Regierungsbündnis ist auf dem Weg zu einer unkomfortablen Minderheitsregierung

  • Holger Politt, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Schnell machte am Mittwoch die Nachricht die Runde, in Polen sei eine handfeste Regierungskrise ausgebrochen, weil Jarosław Kaczyński seine Mehrheit im Sejm verloren habe. Tatsächlich hatte er selbst zuvor angewiesen, Jarosław Gowin aus der Regierung zu werfen, der bis dahin Wirtschaftsminister und - wie Kaczyński - einer der vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten gewesen war. Kaczyński rechnete fest damit, dass der nachfolgende Schaden für die nationalkonservative Regierungskoalition in erträglichen Grenzen gehalten werden könne, da er Gowin nicht mehr zutraute, noch viel Volk um sich zu sammeln.

Um langwierigen Koalitionsverhandlungen nach Parlamentswahlen aus dem Weg zu gehen, hatte Kaczyński 2015 und 2019 mit Erfolg bereits vorher eine gemeinsame nationalkonservative Wahlliste zusammengebaut, die neben seiner eigenen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Huckepackverfahren auch zwei weitere Gruppierungen in das Parlament brachte, die alleine für sich keine Chancen auf den Parlamentseinzug gehabt hätten. Der kleine, gemäßigt-konservative Flügel im Regierungslager wurde von Gowin angeführt, der 2019 mit immerhin 18 Abgeordneten ins Parlament eingezogen war. Knapp zwei Jahre später sind bei Gowin noch ganze sechs treue Seelen verblieben, die anderen haben sich nach inneren Auseinandersetzungen in der kleinen Partei längst für Kaczyński und gegen Gowin entschieden. So sprach Gowin nach seinem Rauswurf etwas großspurig vom Bruch der Regierungskoalition, doch immerhin wusste er, dass dem Regierungslager nun dennoch entscheidende Stimmen zur Mehrheit fehlen würden, es zusätzliche Stimmen brauche.

Nach den Wahlen im Herbst 2019 waren im 460-köpfigen Sejm fünf Fraktionen vertreten, übersichtlich geordnet von ganz rechts bis links. Heute ist die Szenerie sehr viel bunter, neben den größeren Fraktionen gibt es mittendrin mehrere kleinere Gruppen, die sich - wie in Polen Tradition - erst im Laufe der Zeit neu zusammengesetzt haben und nun ihr politisches Glück versuchen. Hier von Fall zu Fall leichte Beute zu machen, um die wenigen fehlenden Stimmen auszugleichen, gehört jetzt zu Kaczyńskis Kalkül. Die erste Nagelprobe kam nun ebenfalls am letzten Mittwoch, denn das Regierungslager wollte ein neues Mediengesetz mit aller Macht durch die Instanz bringen.

Frühzeitig hatten es die Nationalkonservativen nach 2015 geschafft, das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen nahezu vollständig unter ihre politische Kontrolle zu bringen. Ein Dorn im Auge blieb jedoch der private Mediensektor, insbesondere aber der einem US-Medienkonzern gehörende Fernsehsender TVN. Dessen Nachrichtenkanal TVN 24 ist im Fernsehbereich schnell zum unbestrittenen Gegengewicht des Regierungsrundfunks aufgestiegen, gilt vielen Menschen im Land als Ort freier Meinungsäußerung und vor allem regierungskritischer Debatte. Mit dem neuen Gesetzentwurf der Regierung soll nun festgelegt werden, dass Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums haben, nur noch maximal 49 Prozent des Eigentums von Medieneinrichtungen in Polen besitzen dürfen. Den meisten in Polen ist klar, dass sich das Gesetz im Grunde ausschließlich gegen TVN richtet, enge Kaczyński-Vertraute geben das auch unumwunden zu.

Für Jarosław Kaczyński war jetzt aber vor allem die parlamentarische Kraftprobe wichtig, ganz unabhängig davon, was aus diesem Gesetzesvorhaben überhaupt werden wird. Auch ihm ist wohl klar, dass ein solches Gesetz empfindlich in die Beziehungen zwischen Polen und den Vereinigten Staaten von Amerika eingreift, gilt TVN doch als eine der wichtigsten US-Investitionen in Polen. Kaczyński suchte die Entscheidung - und verlor. Ein Antrag aus den Reihen der Opposition, die Abstimmung über das Mediengesetz in den September zu verlegen, erhielt eine kleine Mehrheit, auf den Regierungsbänken gab es ein böses Erwachen. Die Opposition triumphierte indes, denn erstmals seit dem Herbst 2015 wurde bei einer wichtigen Abstimmung im Sejm die Mehrheitsmacht des Kaczyński-Lagers gebrochen. Doch Kaczyński zog die Reißleine, setzte mit seinen Leuten und offenkundig gegen die parlamentarische Regel eine Wiederholung der Abstimmung durch - und gewann.

Der von ihm erhoffte Mechanismus, die fehlenden wenigen Stimmen anderweitig zusammenzubekommen, hat schließlich funktioniert, doch ist der Preis erkennbar hoch. Mit Gowin hat das Regierungslager ein wichtiges, weil mäßigendes Element seiner bisherigen Balance verloren. Kenntnisreiche Beobachter sprechen gar vom »demokratisch-konservativen Anker«, der nun gekappt sei. Das Regierungsboot, so will es dieses Bild, driftet gefährlich nach rechts, gerät in ein Fahrwasser, für das es gar nicht mehr ausgerichtet ist.

Zudem hat Kaczyńskis Manöver die Opposition aufgeschreckt, denn schnell ist klargeworden, dass dieser nun mit allen Mitteln weiterregieren will, solange sich in den zur Entscheidung stehenden Fragen keine Stimmenmehrheit gegen das Regierungslager findet. Insofern relativieren sich plötzlich wieder die vielen Scharmützel innerhalb des demokratischen Oppositionsspektrums der letzten Wochen und Monate. Polen aber stehen, so oder so, wohl erneut stürmischere Herbstwochen ins Haus.

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