Wer härter arbeitet, bekommt weniger

Sozialverband VdK kritisiert mit einer aktuellen Studie pauschale Anhebung des Renteneintrittsalters

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Hätte ich gewusst, dass ich hier bis zu einem Alter von 70 oder mehr Jahren arbeiten muss, um über die Runden zu kommen, wäre ich nicht hergekommen«, sagte vor Jahren eine Berliner Taxifahrerin zum Autor dieses Textes. Sie war aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland gekommen und offenbar bitter enttäuscht vom Arbeitsfetisch und der sozialen Ungleichheit hierzulande. Und es ist seitdem nicht besser geworden, sondern schlimmer.

Denn seit diesem Sommer gibt es Forderungen, das Rentenalter schrittweise weiter zu erhöhen. So hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium anlässlich seines letzten Gutachtens zur Zukunft der Rente eine Reform hin zur Rente mit 68 vorgeschlagen. Ökonom*innen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gingen noch weiter und forderten, das Rentenalter spätestens ab dem Jahr 2052 auf 70 Jahre anzuheben, da ihrer Meinung nach Vorschläge für eine Rente mit 68 nicht ausreichten, um den Beitragssatz zu stabilisieren. Die momentane Regelung ist, dass die Altersgrenze für die Regelaltersrente ohne Abschläge bis 2029 schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird. Für Versicherte ab Jahrgang 1964 gilt dann die Regelaltersgrenze von 67 Jahren.

Am Montag hat sich nun der Sozialverband VdK Deutschland auf einer Pressekonferenz zu diesem Thema positioniert. Er warnt angesichts einer von ihm in Auftrag gegebenen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vor einer pauschalen Erhöhung des Renteneintrittsalters. »Eine Erhöhung auf 68, 69 oder gar 70 Jahre würde die soziale Spaltung in der älteren Bevölkerung weiter verschärfen und zu noch mehr Altersarmut führen«, kritisierte VdK-Präsidentin Verena Bentele. »Statt den nächsten Beirat einzusetzen, der vorschlägt, alle pauschal länger arbeiten zu lassen, brauchen wir flexiblere Lösungen: Wer etwa ein Leben lang in körperlich und psychisch anstrengenden Berufen gearbeitet hat, muss früher in Rente gehen können, und zwar ohne Abschläge auch schon mit 63.«

Die DIW-Studie konstatiert zuerst eine nach wie vor kontinuierlich steigende Lebenserwartung in der hiesigen Bevölkerung. Konkret nimmt sie sich vier Berufsgruppen vor: Arbeiter*innen, Selbstständige, Angestellte und Beamt*innen sowie deren jeweilige Arbeitsbelastung. Ein Ergebnis ist, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von Arbeiter*innen mit 83,1 Jahren im Vergleich zu Beamt*innen mit 87,2 Jahren geringer ist. Auch eine hohe berufliche Belastung wirkt sich auf die Lebenserwartung aus: Rentner*innen, die in Berufen mit hoher Belastung gearbeitet haben, leben drei Jahre kürzer im Vergleich zu jenen, bei denen die Belastung geringer war. Und auch beim Haushaltseinkommen zeigen sich deutliche Unterschiede: Rentner*innen aus Haushalten mit prekären Einkommen haben eine deutlich geringere Lebenserwartung im Vergleich zu wohlhabenden Haushalten. Konkret leben ärmere Rentner*innen fünf Jahre kürzer als reichere.

Für den VdK sind die Ergebnisse ein Beleg dafür, dass die verschiedenen Altersvorsorgesysteme in Deutschland zutiefst ungerecht sind. So seien gering verdienende Menschen im Alter schlechter gestellt als Menschen mit höheren Einkommen in weniger belastenden Berufen.

»Wird das Renteneintrittsalter erhöht, benachteiligt das die erste Gruppe gleich doppelt«, so VdK-Präsidentin Bentele. »Zum einen bekommen sie deutlich geringere Renten und zum anderen beziehen sie diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserwartung erheblich kürzer.« Diese Art der Rentenformel sei »absolut nicht fair«, betonte sie. Allgemein forderte Bentele, dass allen Menschen im Alter ein finanzieller Spielraum ermöglicht werde. »Man muss sich auch was leisten können, wie zum Beispiel ein E-Bike oder ähnliches, um aktiv zu bleiben. Doch heute geht es für die meisten Menschen nur darum, irgendwie die Lebenshaltungskosten zusammenzubekommen«, kritisierte sie.

Die Zeit sei reif für eine Rente für alle, deren Finanzierung dadurch gesichert werden soll, dass auch alle einzahlen - einschließlich der Beamt*innen. »Für alle, die hart arbeiten und viel leisten, muss die zukünftige Bundesregierung ein gutes Angebot machen«, forderte Bentele am Montag. Leider plätschere der Wahlkampf nur so vor sich hin, zeigte sie sich enttäuscht. »Dabei brauchen wir nicht nur in dieser Frage einen wirklich großen Sprung, um die Lebensverhältnisse der meisten Menschen in diesem Land zu verbessern«, machte die VdK-Präsidentin klar.

Vorschlägen wie jenem der FDP, im Rahmen der gesetzlichen Rente zwei Prozent des Bruttoeinkommens in einen unabhängig verwalteten, vollständig aktienbasierten Fonds fließen zu lassen, lehnt der VdK kategorisch ab. Stattdessen müsse man im Arbeitsleben schon anders ansetzen: Mit besserer Bezahlung und gesünderen Arbeitsbedingungen. Das unterstrich auch DIW-Studienleiter Peter Haan. Er gab zu bedenken, dass Zweites gerade in prekären Berufsfeldern leider viel zu selten umgesetzt werde.

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