Synagoge im Sonnenlicht

Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit in Potsdam geöffnet

Es nieselt ab und zu, aber es regnet nicht. So möchte es bitte bleiben, »mit Gottes Segen«, wie sich Oliver Günther wünscht. »Wenn man das als Nichtgläubiger so sagen darf«, fügt der Präsident der Universität Potsdam vorsichtig hinzu.

Am Mittwochnachmittag wird unweit des Neuen Palais im Schlosspark Sanssouci ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit eröffnet. Es bietet im alten Hofgärtnerhaus und in der ehemaligen Orangerie Platz für die Ausbildung von Rabbinern und Kantoren. In einer Art Verbindungsgang zwischen Haus und Orangerie ist eine kleine Synagoge mit 40 Plätzen eingerichtet. 13,5 Millionen Euro sind in den Umbau geflossen.

»Mit dem heutigen Festakt findet eine wunderbare Entwicklung ihren vorläufigen Abschluss«, sagt Günther. Ursprünglich war er skeptisch, was theologische Fakultäten an seiner Universität betrifft, einer Universität in einem Bundesland, in dem die Mehrheit der Bevölkerung religiös ungebunden ist. Auch generell schien ihm das Fach Theologie nicht an staatliche Hochschulen zu gehören. Doch Günther hat sich umstimmen lassen. Seit 2013 kann an seiner Hochschule jüdische Theologie studiert werden, 80 Studierende sind gegenwärtig eingeschrieben. Günther findet das gut, weil es »ein klares Signal gegen Antisemitismus« ist. Aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil er nun meint, dass es der Toleranz dient, wenn Pfarrer, Rabbiner und Imame zusammenkommen und nicht getrennt an Priesterseminaren, Thora- und Koranschulen ausgebildet werden.

Beim Festakt am Mittwoch schwärmt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD): »Welch ein Geschenk für unser Land!« Aber über diesem schönen Satz liege auch ein Schatten, klagt er. Zwar werden in Deutschland wieder Rabbiner ausgebildet. Aber dem Bundespräsidenten bereitet Sorge, dass jüdisches Leben nicht selbstverständlich ist, jüdische Einrichtungen in der Bundesrepublik nach wie vor geschützt werden müssen.

Antisemitismus gibt es. Er breitet sich sogar erneut aus. »Leider auch bei uns«, bedauert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Er erinnert an die Ermordung von Millionen Juden in der Nazizeit. »Dies immer mitzudenken, sind wir den Opfern schuldig«, betont Woidke. Insofern ist er denen für ihren Mut dankbar, die sich in Brandenburg niedergelassen und dafür gesorgt haben, dass ein Zentrum für jüdische Gelehrsamkeit entstehen konnte.

Zur Eröffnung mit 250 geladenen Gästen unter freiem Himmel gehört die aus Gründen des Infektionsschutzes und wegen der beengten Verhältnisse nur im kleinen Kreis vollzogene feierliche Einbringung der Thorarollen in die Synagoge. Vier Rabbinerstudenten aus Brasilien, Italien, Spanien und Kolumbien tragen die Rollen, die aus einer Synagoge in Berlin-Charlottenburg stammen, an ihren Bestimmungsort. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Sonja Guentner, Präsidentin der Europäischen Union progressiver Juden, heben die Rollen in den dafür bestimmten Schrein, der nach einem Gebet durch Kantor Isidoro Abramowicz und Rabbiner Walter Homolka verschlossen wird. Nachdem bei dem anschließenden Festakt ein religiöses Lied gesungen ist, tut sich plötzlich ein Loch in den Wolken auf und die Sonne scheint.

»Sehen Sie Herr Günther, so geht ein Gebet – und schon kommt die Sonne raus«, schmunzelt Rabbinerin Jasmin Adriani, die in Potsdam ausgebildet und 2020 ordiniert wurde, in Richtung des nichtgläubigen Universitätspräsidenten. An genau dieser Stelle, vor dem Neuen Palais, das der preußische König Friedrich II. für seine Gäste errichten ließ, hatte dieser König vor 250 Jahren den jüdischen Gelehrten Moses Mendelssohn nicht empfangen. Der König verachtete das Judentum, erzählt Adriani. Das ausgerechnet hier ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit entstehen konnte und Rabbiner und Kantoren ausgebildet werden, ist ein Akt später Gerechtigkeit. Bereits vor 185 Jahren hatte Rabbiner Abraham Geiger (1810-1875) gefordert, dass jüdische Theologie an deutschen Hochschulen gelehrt wird.

Zentralratspräsident Schuster erinnerte dagegen an die jüngere Vergangenheit, erwähnte die antisemitischen Verschwörungsmythen, die bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu hören gewesen sind. »Wir sind hier zu Hause und wollen es bleiben«, versichert Schuster. Wenn es in Zukunft nicht mehr notwendig sein sollte, jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz zu stellen, wäre ein Schritt in eine bessere Welt getan, meint er.

Bislang verfügt das Zentrum für jüdische Gelehrsamkeit nur über geliehene Thorarollen. Es soll aber eine eigene auf die vorgeschriebene Art angefertigt werden. Traditionell muss das Pergament mit einem Federkiel beschrieben werden. Das dauert ein Jahr.

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