Gegen die Isolation

Aktivisten demonstrieren für die Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Nostorf-Horst

  • Dieter Hanisch, Nostorf-Horst
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund 80 Aktivist*innen und Bewohner*innen demonstrierten am Wochenende für die Schließung der Asylbewerber*innen-Erstaufnahmeeinrichtung im mecklenburg-vorpommerischen Nostorf-Horst. »Lager abschaffen«, forderten sie lauthals trotz strömenden Dauerregens am Sonntagnachmittag bei der monatlichen Mahnwache von »Pro Bleiberecht« auf dem Parkplatz vor dem Areal an der Bundesstraße 5. »Break Isolation« lautete das Motto der Aktion in Horst. Die Organisator*innen sprechen von Ausgrenzung und institutionellem Rassismus, der den Geflüchteten widerfährt.

Verstärkung bekam »Pro Bleiberecht« aus Rostock, von wo aus sich ein Reisebus nach dem Gedenken an die 1992 vor dem »Sonnenblumenhaus« erfolgten Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen auf den Weg in den Landkreis Ludwigslust-Parchim machte. Die mehrtägigen Neonazi-Krawalle 1992 führten seinerzeit zum abrupten Ende der zentralen Aufnahmestelle für Geflüchtete und zur Geburtsstunde von Nostorf-Horst in einer ehemaligen NVA-Kaserne.

Weit entfernt von Infrastruktur hatte man damals bereits den Eindruck, die Asylsuchenden sollten vor der Öffentlichkeit »versteckt« und künftige Asylbewerber*innen durch die Zustände dort abgeschreckt werden. Hört man den aktuellen Schilderungen von Betroffenen zu, wird klar, dass die Zeit in vielerlei Hinsicht stehengeblieben zu sein scheint. Insbesondere geflüchtete Frauen trauen sich, über eklatante Missstände zu reden. So hat der in Potsdam ansässige Verein »Women in Exile« inzwischen in Mecklenburg-Vorpommern einen Ableger.

Dort ist seit kurzem auch die Iranerin Ayla Sadeghi (Name geändert) aktiv, die fast ein Jahr lang in Nostorf-Horst leben musste und nun in Rostock auf den Ausgang ihres Asylverfahrens wartet. Sie berichtet von ihren Erlebnissen, über immer wieder aufkommenden Ärger mit dem Betreuungsträger Malteser Hilfsdienst und dem Security-Personal. Fehlender Respekt, fehlende Privatsphäre, mangelnde Rücksicht auf Kultur und Religion der Asylsuchenden, ständige Zimmerkontrollen, ein meist eintöniges Essensangebot, schlechter bis gar kein Internetempfang und eine miserable medizinische Versorgung - die Liste gravierender Mängel ließe sich fortsetzen.

Auch wenn die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern das Wort vermeidet, handelt es sich bei dem Aufnahmepunkt Nostorf-Horst de facto um ein sogenanntes Anker-Zentrum. Diesen Begriff führte die Große Koalition im Sommer 2018 in ihrem Koalitionsvertrag ein. Er steht für »Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung (Anker)«. In einem solchen Lager sollen Geflüchtete untergebracht werden, bis sie in Kommunen verteilt oder aber in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Neben der Erstaufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst gibt es in Mecklenburg-Vorpommern noch eine weitere in Stern-Buchholz bei Schwerin. Der Flüchtlingsrat des Bundeslandes schließt sich der Forderung nach Schließung der Erstaufnahme Nostorf-Horst an. Das Fehlen einer unabhängigen Rechtsberatung für Geflüchtete vor Ort ist nur ein Punkt, über den sich der Flüchtlingsrat beklagt.

Die Einrichtung hat meist Alleinstehende aufgenommen. Vor allem Ukrainer*innen sind dort untergebracht. In der Zuteilung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ist Nostorf-Horst bundesweit zentraler Aufnahmeort für Asyl-Anfragen aus der Ukraine. Zur Geschichte der Einrichtung gehört auch, dass Hamburg zwischen 2006 und 2019 ein Mitnutzungsrecht hatte.

Laut der Auskunft des Landesinnenministeriums auf eine Anfrage des »nd« sind in der Einrichtung derzeit 236 Geflüchtete untergebracht, in Stern-Buchholz sind es 433. Die Initiative »Pro Bleiberecht« setzt ihre Proteste in Nostorf-Horst am 26. September fort, wenn zeitgleich nicht nur ein neuer Bundestag, sondern im Nordosten auch ein neuer Landtag gewählt wird.

»Pro Bleiberecht« möchte mit den monatlichen Protesten kontinuierlich Öffentlichkeit schaffen für die Belange der in Nostorf-Horst untergebrachten Geflüchteten. Ob das Lager bei Boizenburg geschlossen wird, ist indes eine politische Entscheidung. Da die Liegenschaft Nostorf-Horst dem Land gehört, während Stern-Buchholz nur angemietet ist, ist die Zukunft der Einrichtung womöglich auch eine haushaltspolitische Frage.

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