Rotwein statt Schokolade

Wahlkampfendspurt: Christian Görke (Linke) kämpft in Cottbus um jede Stimme

Die Frauen haben schon gewählt. Christian Görke lädt sie dennoch auf einen Wein ein.
Die Frauen haben schon gewählt. Christian Görke lädt sie dennoch auf einen Wein ein.

Fast jeder zweite Passant an der Stadtpromenade in Cottbus erklärt dem Bundestagskandidaten Christian Görke (Linke) am Mittwochabend, er habe bereits per Briefwahl abgestimmt, die Agitation bringe nun nichts mehr. Görke trifft aber auch Menschen, die sich noch nicht entschieden haben, welche Partei sie bei der Bundestagswahl am kommenden Sonntag ankreuzen.

»Die Stimmung ist gut. Aber wir müssen auf den letzten Metern um jede Stimme kämpfen, damit es nicht doch noch schief geht«, sagt Görke. In den Umfragen steht die Partei bundesweit bei sechs Prozent, aber Prognosen waren in den letzten Jahren nicht mehr besonders verlässlich. Brandenburgs ehemaliger Finanzminister Görke lässt nichts unversucht. Früher aß er viel Schokolade. Jetzt hat der 59-Jährige abgespeckt und ist rechtzeitig zum Wahlkampfendspurt topfit. Innerhalb von drei Tagen radelte der Politiker, der von Beruf Lehrer für Sport und Geschichte ist, 200 Kilometer über die Dörfer in dem Cottbus umgebenden Landkreis Spree-Neiße, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Es interessiert sie vor allem, was im Lausitzer Revier nach dem Ausstieg aus der Braunkohle kommt. Was ist das Versprechen neuer Jobs durch erneuerbare Energien wert, wo der dänische Windradproduzent Vestas gerade ankündigte, seinen Standort in Lauchhammer zu schließen? Görke kämpft beharrlich dafür, dass der Strukturwandel gelingt.

An der Stadtpromenade lässt sich Die Linke nicht lumpen. Der junge Genosse Měto Kjarcmaŕ, Sorbe und Aussteiger aus der Naziszene, spielt Akkordeon. Der 70 Jahre alte Schauspieler Michael Becker ist als Straßenkünstler angeheuert. Er stoppt Passanten, die ihm einen Buchstaben nennen sollen. Dann zitiert er Lyrik von Bert Brecht, die mit diesem Buchstaben beginnt. 1988 trat Becker aus der SED aus, nachdem die DDR auf Distanz zur sowjetischen Reformpolitik ging und den Vertrieb der Zeitschrift »Sputnik« verbot. Seitdem ist Becker, so sagt er, »parteiloser Kommunist, wie Brecht«. Es wird an der Stadtpromenade freigiebig Rotwein ausgeschenkt. Auch CDU-Kandidat Markus Niggemann bekommt einen Becher voll, als er mit Parteifreunden vorbeikommt. »Ich will mich bedanken für den fairen Wahlkampf«, prostet Görke ihm zu. Auch Kandidatin Heide Schinowsky von den Grünen, die ein paar Schritte um die Ecke um Stimmen wirbt, schaut auf ein Wort vorbei. Sie bestätigt, dass die Bewerber der demokratischen Parteien im Wahlkreis 64 sachlich und freundlich miteinander umgegangen sind.

Beschimpfungen der Politiker, die im Landtagswahlkampf 2019 zu erleben waren, habe es diesmal so gut wie gar nicht gegeben, berichtet Sozialist Görke. Kaum hat er das festgestellt, gibt es eine Ausnahme von der Regel. »Da rotten sich die Verlierer zusammen«, ruft ein Mann abfällig herüber. Als er sich entfernt, ist auf seinem Pullover »Division Thor Steinar« zu lesen. Die Modemarke ist bei Neonazis beliebt. Doch wer verliert und wer gewinnt, das ist keineswegs klar. Die SPD klebt Postkarten mit der Überschrift »AfD verhindern!« an Laternen. Dazu ein Diagramm, wonach SPD-Kandidatin Maja Wallstein mit 25 Prozent gleichauf liegt mit Daniel Münschke (AfD), dahinter Markus Niggemann (CDU) mit 18 Prozent, Christian Görke (Linke) mit 13 sowie Heide Schinowsky (Grüne) und Laura Schieritz (FDP) mit je sechs Prozent. Quelle ist eine Internetseite, die aus überregionalen Umfragen und Ergebnissen früherer Wahlen eine Prognose errechnet. Es ist umstritten, was solche Vorhersagen wert sind. Fakt ist, dass Südbrandenburg zu den Hochburgen der AfD gehört, die klare Mehrheit der hiesigen Bevölkerung jedoch andere Parteien ankreuzt.

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