Nötig ist ein gesellschaftlicher Aufstand

Eine linke Regierung des sozialen Antifaschismus könnte sich dem Rechtstrend entgegen­­stellen. Aber das wird nicht genügen

  • Lia Becker
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Unteilbar-Proteste führten Forderungen nach sozialen, ökologischen und Freiheitsrechten zusammen. Könnte so auch ein künftiger gesellschaftlicher Aufstand aussehen?
Die Unteilbar-Proteste führten Forderungen nach sozialen, ökologischen und Freiheitsrechten zusammen. Könnte so auch ein künftiger gesellschaftlicher Aufstand aussehen?

Anders als in einer Strategie »Klasse gegen Klasse«, die prinzipiell zu Recht betont, dass der neoliberale Flügel der Herrschenden kaum als Bündnispartner gegen autoritäre Entwicklungen anzusehen ist, dürfen wir (vorübergehende) Bündnisse in der Not, zur konkreten Verteidigung demokratischer Errungenschaften und des liberal-demokratischen Rahmens gegen rechte Angriffe nicht ausschließen. Einmal an der Regierungsmacht, besteht die Gefahr, dass die antidemokratische und faschistische Rechte eine neue Qualität von autoritärem Umbau von Staat und Gesellschaft einleitet, der die linken Kräfte, Gewerkschaften und soziale Bewegungen existenziell bedroht und wahrscheinlich auf einige Jahre hin nicht zurückgedreht werden kann. Dies gilt es mit aller Entschlossenheit zu verhindern.

Über das Verhältnis von linkem Regieren, Antifaschismus und Transformationsperspektive muss daher neu nachgedacht werden. Es ist sinnvoll, Situationen einer extremen Defensive – dazu zählt, eine unmittelbar drohende AfD-geführte Regierung zu verhindern – von der Perspektive einer linken Regierung, einer Regierung des sozialen Antifaschismus zu unterscheiden. Auch eine denkbare Tolerierung einer Minderheitsregierung muss mit Mindestbedingungen seitens der Linken verbunden sein. Mit Beteiligung der Linken darf es niemals zu weiteren Angriffen auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Lohnabhängigen, zu Aufrüstung und Demokratieabbau kommen.

Angesichts des Zustands von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist eine linke Regierung 2029 oder früher kaum vorstellbar. Selbstverständlich kämpfen wir um jede soziale, ökologische, feministische und antirassistische Reform. Das kann auch die Beteiligung an Landesregierungen bedeuten, aus einer Position der Stärke heraus, mit klaren, verbindlichen Wendepunkten statt voreiliger Selbstbegrenzung, um »koalitionsfähig« zu sein. Wir brauchen aber dringend einen »Plan«, also eine Strategie und eine klare Botschaft, wie wir gemeinsam die autoritäre Rechtsentwicklung stoppen können.

Es gehört zur Schwäche der Linken in Deutschland, dass ein gesellschaftliches, nicht primär von den Parteien ausgehendes Bündnis derzeit kaum realistisch erscheint.

Das mittelfristige Ziel muss es sein, Die Linke zur führenden Kraft links der Union zu machen, Deutungshoheit über die soziale, wirtschaftliche und politische Krise zu erlangen und eine Mehrheit der Menschen für einige zentrale Reformprojekte zu gewinnen. Dann kann sich die Perspektive einer Regierung des sozialen Antifaschismus eröffnen, getragen von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis. Ein sozialökologischer Bruch mit dem Neoliberalismus wäre damit noch nicht geschafft, aber einige zentrale soziale Verbesserungen und eine aktive Politik zur Förderung progressiver zivilgesellschaftlicher und solidarischer Alltagsstrukturen sind möglich. Dies könnte einen Zeitgewinn für den Aufbau von Gegenmacht schaffen und die Bildung von Hegemonie befördern.

Ohne Neuorientierung der Linken drohte jedoch eher ein Scheitern an den Widerständen der Kapitalseite, an der Rechten und an eigenen Fehlern (ähnlich wie bei Syriza). Es braucht daher klare Wendepunkte, also Mindestbedingungen, ohne die wir »es nicht machen«, klare Projekte und den Aufbau gesellschaftlicher Bündnisse und organisierter Macht. Zur Dialektik der Krise gehört aber auch: Ohne es gut vorbereitet zu versuchen, werden wir die Rechte nicht stoppen können.

Wir müssen uns schon jetzt auf die absehbare Zuspitzung gegen Schwarz-Blau-Gelb vorbereiten. Das droht im wichtigen Sich-Finden der neuen Partei und Fraktion unterzugehen. Ja, der Aufbau und die Verankerung der Linken als verbindende und organisierende Partei ist der Kern einer Perspektive des sozialen Antifaschismus. Die Linke muss alles daransetzen, mehr Menschen zu organisieren und zu einer starken Vetomacht zu werden. Es geht um die Bildung einer »gesellschaftlichen Partei«, um Organisierungsprozesse, die die Träume, Sorgen und die Energie von vielen Menschen über die Grenzen der Parteiorganisation im engen Sinne hinaus aufgreifen und politisch bündeln können.

Wohin geht die neue Linke?

Die Linkspartei ist nicht mehr die, die sie noch im vergangenen Jahr war. Von den nun über 100.000 Mitgliedern kam die Hälfte im letzten halben Jahr dazu. Wie stellt sich diese neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.

Doch geht die Herausforderung darüber hinaus: Der derzeit noch vielversprechendste Ansatz gegen eine drohende Regierung der extremen Rechten ist die Bildung einer gesellschaftlichen Volksfront. Allerdings sind die Erfahrungen aus Frankreich mit dem Nouveau Front Populaire (NFP) keineswegs nur ermunternd. Es gelingt kaum, die zur neoliberalen Mitte driftende Sozialistische Partei an das Programm des NFP zu binden, und noch weniger, eine gesellschaftliche Kraft zu entfalten. Ohnehin ist die Strategie nicht einfach übertragbar.

Es gehört zur Schwäche der Linken in Deutschland, dass ein gesellschaftliches, also nicht primär von den Parteien ausgehendes Bündnis derzeit kaum realistisch erscheint. Ohne ein gemeinsames Programm und Projekt wäre ein solches hierzulande angesichts der Rolle von SPD und Bündnis 90/Die Grünen für die Durchsetzung neoliberaler und autoritärer Politiken von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Diese Ausgangslage klar zu sehen, spricht aber nicht grundsätzlich gegen eine Strategie, die an konkrete Elemente der historischen Einheits- und Volksfrontpolitiken anknüpft (die Verbindung von Betrieben und gesellschaftlicher Mobilisierung, Klassenpolitik als umfassende Politik des Kulturellen, breite Bündnisorientierung und Regierungsfrage) und diese aktualisiert. Es ginge darum, das Potenzial einer gesellschaftlichen Volksfront des dritten Pols zu sehen und als mittelfristige Perspektive die Politik von Partei und Bewegungen daran auszurichten.

Die entscheidende Frage ist, wie die Kräfteverhältnisse in Bewegung kommen können. Dafür braucht es beides – den Aufbau der Linken mit einer popular-demokratischen Strategie der Hegemonie und gesellschaftliche Bündnisse, die über Ein-Punkt-Kampagnen hinausgehen. Das dritte notwendige Element für eine Neuzusammensetzung der Kräfte im sozialdemokratischen, linken Lager ist ein neuer Aufschwung von antifaschistischem Protest, sozialen Bewegungen und Streiks. Darauf können wir nicht warten. Wir müssen uns jetzt aktiv vorbereiten und die Initiative ergreifen. Denn in den nächsten Jahren geht es ganz unmittelbar darum, zu verhindern, dass die Union 2029 die Brandmauer zur AfD einreißt. Dafür braucht es ein breites Bündnis, das über die gesellschaftliche Linke hinausgeht und in Kirchen, Sportvereine, Schulen, Universitäten und Kultur ausgreift.

Unterschiedliche Initiativen wie »Widersetzen« können dafür Ausgangspunkte bilden, aber der Prozess müsste darüber hinausgehen – weniger als klassisches Organisationsbündnis und stärker als (Selbst-)Organisierungsprozess und Kampagne aufgebaut, eine Art Unteilbar 2.0. Die Partei darf dabei weder dominieren noch sich heraushalten, sie müsste Infrastrukturen bereitstellen, Resonanzräume schaffen und Organisierungs- und Mobilisierungsarbeit leisten. Die Perspektive eines solchen Bündnisses sollte ziviler Ungehorsam sein, samt Ansätzen eines gesellschaftlichen Streiks und dem Aufbau solidarischer Strukturen. Um Schwarz-Blau zu verhindern, bräuchte es nicht weniger als einen gesellschaftlichen Aufstand.

Lia Becker war bis Mai 2025 Referent*in für Zeitdiagnose der Rosa-Luxemburg-Stiftung und gehört zur Redaktion der Zeitschrift »Luxemburg«, die von der Stiftung herausgegeben wird. Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug aus einem Beitrag, der in »Luxemburg« erscheint.
Zum Weiterlesen: zeitschrift-luxemburg.de

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