Korrekturen sind nur für neuere Steuerbescheide seit 2019 fällig

welche folgen hat das urteil über den zu hohen steuerzins?

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Im nd-Ratgeber vom 22. September 2021 wurde darüber informiert, dass das Bundesverfassungsgericht die hohen Steuerzinsen von sechs Prozent, die bei Steuernachzahlungen oder Steuererstattungen erhoben werden, »realitätsfern und verfassungswidrig« sind und geändert werden müssen. Was hat es überhaupt mit dem Steuerzins auf sich? Welche Folgen hat dieses Urteil für die Steuerzahler?

Hans-Joachim Wilbert, Berlin

Die von den Finanzämtern erhobenen Steuerzinsen werden bei Steuernachzahlungen und Steuererstattungen fällig, und zwar dann, wenn sich die Festsetzung um mehr als 15 Monate verzögert. Anders als der Säumniszuschlag bei verspäteter Steuererklärung stellt der Zins keine Bestrafung dar.

Die Finanzbehörden gehen von dem Grundsatz aus, dass alle Steuerzahler gleichmäßig belastet werden sollen. Wird ein Teil der Steuer von Säumigen jedoch erst im Nachhinein entrichtet oder liegen zu viel gezahlte Steuern lange beim Fiskus, ist dieses Prinzip gestört. Die Zinsen sollen die Gewinne ausgleichen, die mit dem Geld in der Zwischenzeit hätten gemacht werden können. Sie werden im Steuerbescheid festgelegt. Folglich profitiert der Steuerzahler von den Steuerzinsen bei Steuererstattungen, während bei Steuernachzahlungen der Fiskus vom hohen Zinssatz Vorteile hat. Der Zins gilt bei der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer.

Hinter dem Steuerzinssatz steckt ein Problem. Sparer wissen, dass es nennenswerte Zinsen seit Langem so gut wie nirgendwo mehr gibt. Die einzige Ausnahme sind offensichtlich die Finanzbehörden. Sie halten unverdrossen an dem vor Jahrzehnten festgelegten Steuerzins von sechs Prozent im Jahr fest. Der einheitliche Zinssatz wurde 1961 bei 0,5 Prozent monatlich festgelegt (das entspricht sechs Prozent im Jahr) und bei der Steuerreform im Jahr 1990 unverändert übernommen. Seither hat der Gesetzgeber nichts daran geändert.

Angesichts der schon seit Langem andauernden Niedrigzinsphase bemängeln Kritiker immer wieder, dass der Steuerzins mit der Realität am Kapitalmarkt nichts mehr zu tun hat. Das hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung Mitte August nunmehr auch so gesehen. Die Richter des Ersten Senats halten den Zinssatz spätestens seit 2014 für »evident realitätsfern« und damit verfassungswidrig.

Die aktuelle Entscheidung enthält einen finanzpolitischen Kompromiss. Um den Staatshaushalt keinen allzu großen Unsicherheiten auszusetzen, ordneten die Richter Korrekturen aber nur für neuere Bescheide seit 2019 an. An den Zinsen, die vorher festgesetzt wurden, wird nicht mehr gerüttelt. Der Gesetzgeber bekommt Zeit bis spätestens Ende Juli 2022, um den Steuerzins neu zu regeln. Eine konkrete Höhe oder Obergrenze hat das Gericht wohlweislich nicht genannt, aber es liegt auf der Hand, dass der Zinssatz spürbar gesenkt werden muss.

Was bedeutet das für die Steuerzahler? Wer seit 2019 Nachzahlungszinsen gezahlt oder Erstattungszinsen bekommen hat, dürfte von den nachträglichen Änderungen betroffen sein. Voraussetzung ist, dass der Steuerbescheid noch nicht bestandskräftig ist. Das dürfte aber in vielen Fällen so sein. Denn wegen der unklaren Rechtslage hatten die Finanzämter die Zinsen in sämtlichen Bescheiden seit Mai 2019 nur vorläufig festgesetzt. Wer zu viel Zinsen gezahlt hat, wird Geld zurückbekommen. Umgekehrt gilt aber auch: Wer sich über eine Steuererstattung mit üppiger Verzinsung gefreut hat, muss möglicherweise etwas zurückzahlen.

Um welche Beträge es geht, lässt sich noch nicht sagen. Denn das hängt davon ab, auf welche Höhe der Zinssatz für die Zukunft festgesetzt wird. Es ist auch unbekannt, wie viele Bescheide davon betroffen sind.

Das Bundesfinanzministerium hat inzwischen angekündigt, dass es das Problem schnell angehen will. Man werde zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder zügig die Vorbereitungen treffen und die Entscheidung des Verfassungsgerichts umsetzen. Die gesetzliche Neuregelung muss nach der Bundestagswahl angegangen werden. nd-Ratgeberredaktion

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