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  • Sammelunterkünfte für Geflüchtete

Gegen Orte der Entrechtung

Aktionstag für Auflösung von Massenunterkünften für Geflüchtete geplant

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

In den Diskussionen über die Pläne einer künftigen Bundesregierung spielen die Rechte Geflüchteter kaum eine Rolle. Das bundesweite Lager-Watch-Netzwerk ist deshalb am Montag mit Forderungen an die derzeit Sondierungsgespräche führenden Parteien an die Öffentlichkeit gegangen. Auf einer Onlinepressekonferenz forderten Geflüchtete und Vertreter von Flüchtlingsräten der Bundesländer unter anderem die Schließung der sogenannten Ankerzentren und Landeserstaufnahmeeinrichtungen, in denen Menschen oft viele Monate lang leben müssen und in denen ihre Grundrechte massiv verletzt werden.

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Husni, der sich bei Seebrücke Jena engagiert, berichtete auf der Pressekonferenz über die unzureichende Gesundheitsversorgung in der thüringischen Erstaufnahmeeinrichtung Suhl. Emmanuel, der in der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg im Breisgau lebt, monierte, es sei den Bewohnern nicht erlaubt, ihr Essen selbst zu kochen. Happy aus Karlsruhe beschrieb eindringlich den Alltag von Menschen in den Zentren, denen kaum Privatsphäre zugestanden wird.

Walter Schlecht vom alternativen Freiburger Radio Dreyeckland sieht in den Hausordnungen der Einrichtungen den Grund für die Menschenrechtsverletzungen. Sie gäben den oft privaten Sicherheitsdiensten die Macht, die nicht abschließbaren Zimmer der Geflüchteten zu betreten. Klagen gegen Hausordnungen seien bisher erfolglos geblieben, obwohl in mehreren Gutachten festgestellt worden sei, dass mit den Bestimmungen etwa gegen das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verstoßen wird. Ein Problem besteht darin, dass Klagen nur von Bewohner*innen eingereicht werden können. Doch ihr Aufenthalt dort ist für die Dauer eines Verfahrens zu kurz.

Philipp Millius von Lager-Watch Thüringen schilderte, wie die Grundrechte von Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl durch Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verletzt wurden. Diese wurden bereits Mitte März 2020 am Verlassen der Einrichtung gehindert. Teilweise wurden sie zwangsweise aus der Innenstadt Suhls dorthin zurückgebracht, obwohl zu dieser Zeit noch keine Quarantäneverordnung erlassen war. Die Einrichtung wurde von der Polizei umstellt, ohne dass die Bewohner*innen über den Grund dieser Maßnahme informiert wurden.

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Sicherheitskräfte legten damals eine Liste mit Namen angeblicher Störer an. Sie wurden beschuldigt, einen »Aufstand« in der Einrichtung vorzubereiten. In der Folge wurden 22 Bewohner zeitweilig in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht. Obwohl Gerichte Teile der Maßnahmen mittlerweile für rechtswidrig erklärten, gab es nach Angaben von Millius bisher keine Aufarbeitung dieser Vorfälle. Dafür seien auch Politiker*innen der in Thüringen regierenden Koalition von Linke, Grünen und SPD verantwortlich, kritisierte er.

Für die Schließung der Suhler Einrichtung wird unterdessen von Rechten wie dem gescheiterten CDU-Direktkandidaten bei der Bundestagswahl, Hans-Georg Maaßen, und der AfD mit rassistischen Ressentiments mobilisiert. Wolfram Treiber vom Antirassistischen Netzwerk Karlsruhe sagte, ein Ende der Massenunterkünfte würde rassistischer Stimmungsmache den Boden entziehen. Anstelle dieser Zentren sollten bezahlbare Wohnungen für alle gebaut werden, fordert das Bündnis. Davon würden neben Geflüchteten auch Menschen mit niedrigen Einkommen profitieren.

Walter Schlecht warnte unterdessen davor, dass mit einem möglicherweise von einer künftigen Regierung vorangetriebenen Sicherheitsgewerberecht die bestehende Praxis legalisiert werden könnte, dass private Sicherheitsdienste in Grundrechte eingreifen. Dagegen werde man mobilisieren, kündigte er an. Der Einsatz für die Abschaffung der Hausordnungen in Sammelunterkünften soll auch Thema eines bundesweiten antirassistischen Ratschlags im kommenden Jahr werden.

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