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Drei Knollen-Nasen reisen durch Zeit und Raum
Es lebe die Detailtreue: Die Abrafaxe und »Mosaik« feiern mehrere Jubiläen
Es waren einmal … Nein, es sind drei koboldartige Wesen! Und die blickten vor 45 Jahren – mit einer riesigen Muskete bewaffnet – den erwartungsvollen Leser von der Titelseite des neuen »Mosaik«-Comic-Magazins an. Abrax, Brabax und Califax, von der Zeichnerin Lona Rietschel (1933–2017) und dem künstlerischen Leiter Lothar Dräger (1927–2016) geschaffen, machten sich damals in der DDR auf den Weg in eines der größten Abenteuer der Comic-Welt. Und heute sind die drei Helden, kurz Abrafaxe genannt, mit einer Auflage von monatlich 70 000 Heften, die beliebtesten Comic-Figuren aus deutscher Produktion. Sogar das »Micky Maus«-Magazin musste schon vor Jahren seine Nummer-eins-Position in der Auflage zugunsten der Abrafaxe räumen.
Vielleicht ist sogar der ewige Maus-Konkurrent schuld daran, dass man in der DDR nach einer sozialistischen, also hochwertigen, Antwort auf den bekanntesten West-Comic sann. Und die gab es dann auch. Von 1955 bis 1975 ließ man die Helden Dig, Dag und Digedag, geschaffen von Hannes Hegen (1925–2014), im »Mosaik« durch die Abenteuerwelt ziehen. Als Hegen mit seinen drei Helden das Magazin verließ, führte das Künstlerkollektiv die bisherigen Traditionen des Heftes fort: Abenteuerlust, ferne Orte, fremde Kulturen und wechselnde historische Epochen.
Mit dem Neuanfang, Heft 1 erschien im Januar 1976, beschenkte man die kleinen und großen Kinder der DDR mit den uns bis heute bekannten Abrafaxen. Beachten wir bitte: Das »Mosaik« hatte zu diesem Zeitpunkt eine Auflage von 600 000 Exemplaren monatlich. Der Comic war demnach auch wirtschaftlich von großer Bedeutung, denn andere Zeitschriften und Magazine des damaligen Hausverlags (Junge Welt) konnten so aus den Gewinnen des Heftes bezuschusst beziehungsweise quersubventioniert werden. Doch dann! Wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!
Nein, es geht nicht um das Ende von Max und Moritz, sondern um das Ende eines Staates. Jeder ehemalige DDR-Bürger mag sich erinnern, was aus den Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen des Leselandes DDR wurde. Ruhet in Frieden, »Frösi«, »Weltbühne«, »NBI«, »Wochenpost«, »Pramo«, »Für Dich«, »ABC-Zeitung« … Diese und andere Publikationen mussten einfach sterben, weil die hohen Qualitätshürden einer investigativen Zeitung namens »Bild«, eines kulturell-elitären Magazins namens »Bravo« oder einer fabulierkunstfertigen Illustrierten namens »Stern« als unerreichbar eingeschätzt wurden.
Die freiheitlich-demokratische Abrissbirne erreichte den Verlag Junge Welt, und somit das »Mosaik«, 1991. Der Verlag wurde liquidiert. Die legendäre Treuhandgesellschaft hatte abermals zugeschlagen. Und das »Mosaik«? Das hatte plötzlich neben den drei Kobolden zwei neue Helden: Klaus D. Schleiter und Anne Hauser-Thiele. Sie gründeten fix und faxi den Mosaik-Steinchen-für-Steinchen-Verlag mit Sitz und Redaktion in Berlin und retteten so das »Mosaik«. Immerhin ein Heft, von dem von 1955 bis heute mehr als 200 Millionen Exemplare verkauft wurden.
Das Magazin kam als längster »Fortsetzungscomic« der Welt ins Guinnessbuch der Rekorde. Und apropos fix: Der neu gegründete Verlag veröffentlichte in einer Gesamtausgabe die beliebten DDR-Comic-Mäuse »Fix und Fax«, die in 350 Folgen, erschaffen von Jürgen Kieser (1921–2019), in der DDR-Kinderzeitschrift »Atze« (ebenfalls 1991 verschieden) erschienen waren.
Man kann sagen: Es veränderte sich etwas. Neben der Heftserie erblickten im neu gegründeten Verlag nun auch Einzelalben, Romane, Sonderhefte und Hörspiele das Licht der Welt der Unterhaltung. Mit »Die Abrafaxe – Unter schwarzer Flagge« kamen die Kobolde 2001 sogar als Trickfilm-Helden in die Kinos. Und mit dem von der Deutschen Film- und Medienbewertung verliehenen Prädikat »wertvoll«, konnte auch künstlerisch gepunktet werden.
Seit 2008 erscheint mit »Anna, Bella & Caramella« vierteljährlich ein Comic-Heft-Ableger der Abrafaxe. Hier haben wir es mit drei Damenhelden zu tun, Pendants der Knollennasen der Hauptserie. Kurz gesagt: Für die Fangemeinde ist das »Mosaik« heute ein vielgestaltiger und treuer Partner. Und das nicht trotz der niveauvollen und aufwendigen Szenerien, sondern gerade wegen dieser. Wir wollen dies an einem Beispiel näher betrachten. 2017 starten die Abrafaxe in die Endzeit des Mittelalters durch. Wir treffen auf Luther, Cranach und allerhand weltliche wie kirchliche Würdenträger, die mit und gegeneinander das gestalten, was wir heute Reformationszeit nennen. Der Autor und die Zeichner hatten also nichts weiter vor, als einen zentralen Wendepunkt der deutschen und europäischen Geschichte in ein Comic-Heft zu bannen.
Praktisch hieß das, man musste kulturgeschichtliche Fakten, theologische wie politische Diskussionen der Lutherzeit, historische ulissen (von Wittenberg bis zur Wartburg) und Kostüme detailgetreu recherchieren und künstlerisch umsetzen. Die Abrafaxe waren aber zuvor auch schon im alten Rom, in Venedig, im Paris des 14. Ludwig, im Himalaya, im japanischen Mittelalter, im deutschen Hochmittelalter unter Barbarossa. Und das sind nur wenige Beispiele aus der gut gefüllten Schatztruhe der »Mosaik«-Welt. Demnach vermutete auch ich, dass man als Redaktionsmitglied dieses ambitionierten Comic-Phänomens mindestens Professor für Altertumswissenschaft oder für Kulturwissenschaft sein muss.
Jörg Reuter ist ein solches Mitglied. 1958 in Berlin geboren, hält es schon seine Kindergärtnerin für nötig, seine erste Bilderausstellung zu organisieren. Mit Häschen-Karikaturen. Ja, so war das in der DDR. Heute ist er künstlerischer Leiter beim »Mosaik«. Und ist der Mann Professor? Nein. Er hat einmal ein Elektronikstudium in Ilmenau abgebrochen und arbeitet seit 1980 für das »Mosaik«. In den 80er Jahren hat er dann ein Studium der Gebrauchsgrafik abgeschlossen.
Im Gespräch mit ihm, erklärt er mir genauer, was Detailtreue in der künstlerischen Umsetzung bedeutet. »Unsere Leser sind teilweise recht streng und genau. Du kannst nicht eine Blockhütte zeichnen, die auf Seite 5 acht Querbalken in der Außenwand zeigt, und zwei Seiten weiter sind es dann nur sieben. Da ist die ganze Magie der Geschichte hin.« Ihm sei das schon passiert, lacht er.
Mehr als 40 Jahre ist er nun im Comic-Geschäft. Reuter ist verantwortlich für den sogenannten Aufriss des Heftes: Vom Autor Jens Uwe Schubert wird er mit dem »Script« versorgt, eine Art Drehbuch – es zeigt in groben und rohen Skizzen die Aufteilung der Comic-Seite, zeigt also die Figuren in angedeuteter Weise, den Text und die Handlungsrichtung. Reuter verfertigt aus diesen Vorgaben nun einen Aufriss. Man kann darauf einiges mehr erkennen: Die Panelanordnung und ihre Größe sind festgelegt; die Figuren und Hintergründe sehen zwar immer noch recht roh gezimmert aus, aber genau dieser Aufriss geht nun Blatt für Blatt von Hand zu Hand und von Zeichentisch zu Zeichentisch in der »Mosaik«-Redaktion.
Ein einziges Hin und Her! Da gibt es den Zeichner der Hauptfiguren, Thomas Schiewer, er ist seit 1998 beim »Mosaik«; Niels Bülow, seit 2001 dabei, ist Zeichner der Nicht-Abrafaxe-Figuren – aber es gibt durchaus Ausgaben, wo die Hauptfiguren inflationär auftreten, und da ist Bülow zur Stelle. Die Hintergründe, immer gern auch episch inszeniert, kommen von Andreas Schulze. Seit 1998 an Bord, begann er seine Karriere als Porzellanmaler. Die in Taiwan geborene Sally Lin ist für verschiedene Nebencharaktere und Utensilien-Darstellungen zuständig, seit 2009 bereichert sie das Zeichenteam. Und damit Farbe ins Spiel kommt, denn all die eben genannten Künstler, haben in Schwarz-Weiß gearbeitet, müssen André Kurzawe und Jens Fischer (auch Alleinzeichner der Serie »Anna, Bella & Caramella«!) das besorgen.
Bis ein Heft fertiggestellt ist, gehen circa vier Wochen ins Land. Übrigens sind es insgesamt 20 Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass der legendäre Erfolg des Heftes Bestand hat. Am Ende landet alles beim Leser. Davon gibt es bei der aktuellen Auflage von 70 000 Heften jede Menge: Nämlich 300 000, das haben sie untersucht. Das »Mosaik« geht also auch zu Hause von Hand zu Hand. Mehr Auflage gibt es beim Jubiläumsheft Nummer 550 (eben erschienen), denn das ist die Ausgabe zu 30 Jahre Mosaik-Steinchen-für-Steinchen-Verlag. Hierzu werden fast 150 000 Hefte gedruckt, und zudem schlagen die Abrafaxe ein neues Abenteuer-Kapitel auf: Unsere Helden finden sich wie verzaubert am sagenumwobenen Hofe des Kalifen Harun al-Raschid wieder, also zurück in Bagdad.
Es ist der uns bekannte Kalif aus den arabischen Märchen, jener, der sich gerne verkleidet und unerkannt durch die Stadt spaziert, um zu hören, was das Volk über ihn redet oder was für Sorgen es hat. Und wie es der Zufall will, trifft er auf einige fränkische Gesandte … Ja, und weil wir uns mit dieser Geschichte im Jahre 801 europäischer Zeit befinden, wissen wir, dass damals ein »Carolus« König in Franken war und dass dieser kürzlich zum Kaiser gekrönt wurde, später nannte man ihn ehrfurchtsvoll Carolus Magnus, Karl der Große ... »Mosaik« ist eben immer Geschichte in Geschichten. Und die Leser erzählen auch noch ihre eigenen zum »Mosaik«, in einer Beilage in der aktuellen Ausgabe. Immer wieder geht es um die allererste Begegnung mit dem Heft, das immer weitermacht.
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