Kleine Moleküle

Chemie-Preisträger vereinfachten die Synthese organischer Substanzen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Jene Moleküle, aus denen die belebte Materie besteht, sind häufig von der Art, dass es zwei spiegelverkehrte Varianten von ihnen gibt. Und während die klassische chemische Synthese meist beide Varianten liefert, hat im Organismus zumeist nur eine davon die beabsichtigte Wirkung. Das können harmlose Unterschiede sein wie etwa bei dem Duftstoff Limonen. Während R-Limonen als Duft von Zitrusfrüchten wahrgenommen wird, riecht S-Limonen eher wie Terpentin. Die beiden Wissenschaftler, die den diesjährigen Nobelpreis für Chemie bekommen, haben - so die Begründung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften - ein »präzises neues Werkzeug« zum Aufbau solcher Moleküle entdeckt. Der deutsche Benjamin List und sein US-Kollege David MacMillan werden für die Entwicklung der sogenannten asymmetrischen Organokatalyse geehrt. Die sei für die Arzneimittelforschung wichtig und habe die Chemie umweltfreundlicher gemacht.

Den 53-jährigen List hatte der Anruf aus Stockholm im Urlaub überrascht: »Ich dachte, jemand macht einen Witz. Ich saß gerade mit meiner Frau beim Frühstück«, sagte der bei der Pressekonferenz zugeschaltete Chemiker. Normalerweise witzele seine Frau jedes Jahr bei der Nobelpreis-Vergabe, dass er sein Telefon im Auge behalten solle. »Aber heute haben wir den Witz noch nicht mal gemacht.«

Die von List und MacMillan entwickelte Organokatalyse sei »so einfach wie genial«, erklärte der Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie, Johan Aquvist. Forscher könnten nun viele Produkte effizienter herstellen, von neuen Arzneimitteln bis hin zu Solarzellen. »Auf diese Weise bringen Organokatalysatoren der Menschheit den größten Nutzen«, erklärte die Schwedische Akademie.

Katalysatoren sind Substanzen, die chemische Reaktionen steuern und beschleunigen. Bis zu den Entdeckungen von List und MacMillan waren nur zwei Arten von Katalysatoren bekannt, Metalle und - in der Biochemie - Enzyme.

List lernte bei einem Postdoc-Forschungsaufenthalt am Scripps Research Institut in La Jolla (Kalifornien) eine neue Art Biokatalysator kennen, sogenannte Abzyme. Das sind enzymatisch wirkende Antikörper, sehr selektiv, aber recht uneffektiv. Er erinnerte sich an eine spezielle Reaktion, bei der nicht ein ganzes Enzym aus zig Aminosäuren eingesetzt wurde, sondern nur eine einzelne Aminosäure: Prolin. Er machte den Versuch, brachte Prolin und zwei Reaktionspartner zusammen und überließ alles über Nacht einem Rührwerk. Wie er im Gespräch mit dem Nobelkomitee sagte, sei er dabei ziemlich unsicher gewesen. »Vielleicht haben andere das schon probiert und wissen, warum es nicht geht.« Doch es klappte. 72 Prozent der Ausgangschemikalien waren umgesetzt, das Reaktionsprodukt enthielt 97 Prozent der richtigen Spiegelbildvariante des Moleküls. Als kurz nach seiner Veröffentlichung auch David MacMillan ähnliche Ergebnisse publizierte, war das der Durchbruch für das neue Katalyseverfahren.

MacMillan erreichte die Nachricht von der Preisverleihung auf einem Umweg: List rief ihn an. Doch selbst da wettete er nach eigner Aussage um 1000 Dollar, dass sein Kollege nur einem Witzbold aufgesessen sei. Als ihm bei der Fahrt ins Labor Journalisten auflauerten, wurde ihm allerdings klar, dass er nun um 1000 Dollar ärmer, aber um den wichtigsten Wissenschaftspreis reicher ist.

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