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»Linke Zellen« greifen die »Familie« an

Sebastian Kurz unterstellt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft politisch motiviertes Vorgehen, ohne Belege vorweisen zu können

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

Sein Parteifreund und Finanzminister Gernot Blümel spricht von die »Familie«, wenn vom Netzwerk um Österreichs zurückgetretenen Bundeskanzler Sebastian Kurz die Rede ist. Eine Familie, die generalstabsmäßig vorgeht, um ihre Interessen durchzusetzen. Das wurde im Zuge des Ibiza-Ausschusses im Parlament für alle ersichtlich. Nun waren es die Chatnachrichten aus dem Mobiltelefon eines drittrangigen »Familienmitgliedes«, die das Kartenhaus zusammenbrechen ließen. Denn das Bild, das sich aus diesen Nachrichten ergibt, ist das einer Partei, die wie ein Staat im Staat agiert und über Vertrauensleute in diversen Institutionen Fäden zieht.

Absurd wirkt in Anbetracht all dessen vor allem der Vorwurf von Kurz, die Justiz arbeite politisch motiviert gegen ihn. Und erstrecht der Vorwurf, da würden »linke Zellen« die auf dem »linken Auge blind« sind, agieren. Das sagte er am Tag vor den Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt am 6. Oktober. Das Justizministerium war lediglich zwischen 2007 und 2008 einmal rot besetzt. Davor zuletzt zwischen 1970 und 1983. Sonst waren immer ÖVP, FPÖ oder kurz auch das FPÖ-Spaltprodukt BZÖ in der Justiz am Ruder. Die vom Kanzler so vehement ins Visier genommene Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA wiederum wurde unter ÖVP-Führung gegründet.

Als Sebastian Kurz im Januar 2020 in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten erstmals offen die WKStA angriff und von »roten Netzwerken« dort sprach, ruderte er noch recht schnell zurück. So habe er das nicht gesagt, erklärte er später. Es gäbe lediglich »gewisse Prozesse«, die es zu hinterfragen gelte. Daraus entwickelte sich recht schnell ein beispielloser Stellungskrieg, in dem immer dieselben Vorwürfe ausgetauscht wurden. Und ganz vorne in den Schützengräben der ÖVP: Christian Pilnachek, langjähriger Sektionschef für Strafrecht im Justizressort.

Christian Pilnachek ist mittlerweile suspendiert und wurde wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses angeklagt. In anderen Strafsachen wird gegen ihn ermittelt. Er soll sich etwa mit der ÖVP darüber abgestimmt haben, wie man der WKStA medial schaden könnte. Auch wird ihm vorgeworfen, Ermittlungen in diversen Strafsachen gegen die »Familie« bis zur Verjährung in juristische Endlosschleifen geschickt zu haben. Vor allem lastet ihm aber auch der Vorwurf an, Informationen über bevorstehende Hausdurchsuchungen weitergegeben zu haben. Zum Beispiel im Fall des einstigen Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid, der daraufhin allem Anschein nach versucht hatte, alle Daten auf seinem Mobiltelefon zu löschen, bevor es Ermittlern in die Hände fiel. Und genau dieses Telefon ist jetzt die Fundgrube, die alle Fäden zusammenfügt und Kurz zum Verhängnis wurde.

Die neuen Vorwürfe gegen Sebastian Kurz lauten: Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue. Bereits ab April 2016 sollen Kurz und Vertrauensleute systematisch die Medienberichterstattung über Kurz manipuliert haben. Kurz war damals Außenminister, er und seine Leute sollen Kurz-gefällige Meinungsumfragen in Auftrag gegeben haben und diese über das damals ebenfalls von der ÖVP geführte Finanzministerium getarnt als ministeriumsrelevante Studien abgerechnet haben - Thomas Schmid war damals Generalsekretär im Finanzministerium. Diese geschönten Popularitätsstudien wurden an Medien gespielt und im parteiinternen Machtkampf um die Obmannschaft als Munition benutzt.

Kurz übernahm die Partei und ließ sich mit weitreichenden Befugnissen ausstatten. Und was die frisierten Studien angeht, so gibt es starke Hinweise, dass diese Praxis bis zuletzt weitergeführt wurde.

Parteiintern abgesichert, medial gepusht und bestens vernetzt bis in die Chefredaktionen, die Opposition geschwächt, war es zuletzt vor allem die WKStA, die für den Kanzler zum Problem wurde. Entsprechend eisern auch die Attacken, die Kurz gegen die Staatsanwälte ritt. Da verweigerte er zunächst etwa die per Höchstgericht angeordnete Herausgabe von Mails und ließ sie dann von Bundeskanzleramts-Mitarbeitern vorsortieren. Dann verweigerte er die Befragung durch WKStA-Beamte und bestand auf die Befragung durch einen Richter - was ihm rechtlich zusteht. Dabei wurde er laut Protokoll gegen den anwesenden WKStA-Beamten ausfällig. Hochmut kommt auch im Fall Kurz vor dem Fall.

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