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Wo ist all das Wasser hin?

Landesbergamtspräsident Sebastian Fritze ratlos im Umgang mit dem Pinnower See

Es regnet und regnet. Auf der Zufahrt zu den Datschen am Pinnower See bilden sich Pfützen. Aber zu viel Niederschlag ist nicht das Problem des Gewässers im Landkreis Spree-Neiße. Im Gegenteil. Die extreme Trockenheit der Jahre 2018 bis 2020 hat ihm arg zugesetzt und die Probleme mit dem sinkenden Wasserstand noch verschärft. Ob nun aber der Klimawandel allein verantwortlich ist und nicht auch in sehr erheblichem Maße der Braunkohletagebau Jänschwalde, darum geht es am Montagabend in der Dorfkirche von Pinnow.

Die Dorfmitte ist wegen des Termins fast komplett zugeparkt. Am Einlass bildet sich eine Schlange. Viel mehr Platz wäre nicht auf den Sitzbänken. Das Thema bewegt viele Menschen. Schließlich besteht der Pinnower See wegen des dramatisch gesunkenen Wasserspiegels mittlerweile aus drei Kesseln, gebildet durch auftauchende Landrücken. »Ich denke, wir haben bald vier oder fünf Kessel, wenn es so weitergeht«, befürchtet der Kreistagsabgeordnete Andreas Stahlberg (Grüne). Jeder kann sehen, dass die Bootsstege auf dem Trockenen stehen.

Zur Diskussion eingeladen hat die evangelische Gemeinde. »In den letzten Tagen wurde ich oft gefragt: Seit wann kümmert sich die Kirche um Seen?«, erzählt Matthias Bärmann. »Wir bemühen uns schon länger um die Bewahrung der Schöpfung«, versichert er. Bärmann ist der Braunkohlebeauftragte der Kirchengemeinde der Region Guben, die den Landesbergamtspräsidenten Sebastian Fritze zum Vortrag eingeladen hat.

Fritze ist sich mit den Leuten einig, dass der See in einem beklagenswerten Zustand ist. Meinungsverschiedenheiten gibt es über die Ursachen und die Lösungsmöglichkeiten. Nach Überzeugung des Bergamtspräsidenten ist der Klimawandel verantwortlich, mit dem auch andere Seen zu kämpfen haben. »Wenn es keinen Winter mehr gibt mit Schnee und Schneeschmelze, geht die Grundwasserneubildung immer in die Knie.« Den negativen Trend gebe es bereits seit den 1980er Jahren: mehr Sonnenschein, höhere Temperaturen, weniger Niederschlag. An der Messstelle Treppeln sinke der Grundwasserspiegel Jahr für Jahr. Das habe sich in den vergangenen 20 Jahren auf zwei Meter summiert. Mit dem südlich gelegenen Tagebau Jänschwalde habe das nichts zu tun.

Irgendwann droht ein Fischsterben. Um eine Katastrophe zu verhindern, wird seit 2019 Wasser zugeleitet. Doch die 1728 Kubikmeter, die täglich zulaufen, haben keinen sichtbaren Effekt. Es würde auch nichts bringen, mehr Wasser zuzugeben, ist Fritze sicher. Weshalb? Weil der Pinnower See in einer am Ende einer Eiszeit entstandenen »subglazialen Rinne« liegt, erläutert er. Durch das Gefälle des Geländes laufe Wasser nach Nordosten ab. Würde man mehr Wasser zuleiten, würde mehr Wasser ablaufen.

Die Frage ist auch, woher das Wasser nehmen? Zwar pumpt die Lausitzer Energie AG (Leag) im Tagebau Jänschwalde pro Jahr 114 Millionen Kubikmeter Wasser ab, um in der Grube an die Braunkohle heranzukommen. Doch sie müsste eine zwölf Kilometer lange Leitung zum Pinnower See verlegen. Bis diese Leitung genehmigt und gebaut sei, gebe es den Tagebau nicht mehr - denn er soll 2023 ausgekohlt sein. »Wie wir dort Wasser reinkriegen, habe ich momentan keine Idee«, gesteht Fritze in seinem starken sächsischen Dialekt. »Mir fällt da echt nichts mehr ein.«

Der Kreistagsabgeordnete Stahlberg ist anderer Ansicht: »Man kann, wenn man will, auch schneller etwas machen.« Der Kommunalpolitiker nimmt außerdem die Erklärung nicht hin, dass der fallende Wasserspiegel nichts oder fast nichts mit dem Tagebau zu tun habe. Er zeigt auf einer Landkarte die Linien, bis wohin sich der Einfluss des Tagebaus auf den Grundwasserspiegel früheren Prognosen zufolge erstrecken sollte. Eine Linie reicht bis an den Rand des Pinnower Sees, eine zweite Linie verläuft durch ihn hindurch. Die Prognosen besagten, dass im eingezeichneten Gebiet mit einem Absinken des Grundwasserspiegels um zwei Meter zu rechnen sei.

René Schuster von der Grünen Liga erinnert, dass der Tagebau nach Osten eine Dichtwand zum Fluss Neiße hin besitze. Nach Norden zum Pinnower See hin sei auf eine solche Dichtwand einst verzichtet worden, weil es angeblich zu schwierig und zu teuer gewesen wäre, eine solche zu bauen, und diese hier nicht viel gebracht hätte. In einer Studie dazu sei allerdings für die Wirksamkeit nur mit einer halben Dichtwand gerechnet, die Kosten seien für die komplette Länge von 3300 Metern geschätzt worden, kritisiert der Umweltaktivist. »Die Studie wurde vierfach manipuliert.« Übrigens solle der Höhepunkt der Auswirkungen des Tagebaus auf die Umgebung erst 2034 erreicht sein. »Also: Das dicke Ende kommt noch.«

Bergamtspräsident Fritze hat in der Kirche keinen leichten Stand, muss sich wütende Zwischenrufe anhören. Dabei ist er erst seit einem Jahr im Amt. Die Entscheidungen, die mit der jetzt eingetretenen Lage zu tun haben, wurden lange vor seiner Zeit getroffen. »Man hat es an irgendeiner Stelle verschnarcht«, sagt Fritze. »Wir müssen es heute ausbaden.« Vor noch gar nicht so langer Zeit seien die Bergleute wertgeschätzt worden, heute aber »Dreckpuddel und Buhmann der Nation«, bemerkt Fritze. Er erhält aber auch Szenenapplaus, wenn er seine Sorgen über die Folgeerscheinungen des Bergbaus äußert, die eine Aufgabe für kommende Generationen und für die Gesellschaft sein werden. Denn es dauert vermutlich 100 Jahre, bis sich der Wasserhaushalt wieder auf natürliche Verhältnisse einpendelt. Die Leag werde es dann nicht mehr geben.

Die Diskussion zum Pinnower See soll fortgesetzt werden.

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