Neues Gutachten im Fall Jalloh

Sachverständiger: »Höchstwahrscheinlich«, dass Toter mit Brandbeschleuniger übergossen wurde

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind erschreckende Videoaufnahmen, die am Mittwochvormittag in Berlin-Mitte von der Aufklärungsinitiative in Gedenken an Oury Jalloh gezeigt werden. Der britische Brandexperte Iain Peck schüttet darin etwa zweieinhalb Liter Benzin über eine Puppe, die auf einer Matratze an Händen und Füßen mit Handschellen fixiert ist. Das Feuer verbreitet sich schnell, ein Zeitraffer zeigt, wie in rund 30 Minuten der künstliche Körper mit Schweinehaut und die Matratze zu großen Teilen verkohlen. Am Boden sind danach Benzinflecken zu sehen, an den Wänden starke Rauchspuren. Die nachgestellte Szene findet in einem originalgetreuen Nachbau der Zelle 5 des Polizeireviers Dessau statt. Einziger Unterschied ist eine Glaswand, durch die man in den Raum hineinblicken kann. Ein Bild der Endszene des Videos wird mit Originalaufnahmen eines Tatorts abgeglichen – sie sehen frappierend ähnlich aus.

Um welchen Tatort geht es? In jener Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers war am 7. Januar 2005 der Asylbewerber Oury Jalloh verbrannt. Nach offizieller Behördenversion soll sich der damals 21-Jährige im Keller des Gebäudes auf einer feuerfesten Matratze mit einem Feuerzeug selbst angezündet haben. Iain Peck kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass der zu diesem Zeitpunkt gefesselte Jalloh von Polizeibeamten angezündet worden sein muss. Nach seinen Versuchen mit der Puppe hält es der Brandforensiker dabei für »höchstwahrscheinlich«, dass der Tote mit einer Flüssigkeit wie Benzin übergossen wurde. Bei dem nachgestellten Brandversuch erkannte er ähnliche Schadensausmaße wie bei den originalen Tatortbildern.

Darüber hinaus hätten Bewegungsversuche mit einer an vier Punkten fixierten Person auf einer Matratze in Originalgröße gezeigt, dass Jalloh weder den Bewegungsspielraum noch andere Möglichkeiten hatte, die Matratze selbst anzuzünden, sagte Peck. Die Initiative zeigt ein Video, in der ein gefesselter Freiwilliger versuchte, sich entsprechend zu bewegen – seine Möglichkeiten waren sehr beschränkt.

Iain Peck hatte bereits in seinem Gutachten im Jahr 2015 ausgeschlossen, dass das Feuerzeug im Brandschutt der Zelle 5 gelegen haben kann. Der vorgeführte Feuerzeugrest wurde auch nicht am Tatort gefunden, sondern erst drei Tage später auf eine Asservatenliste hinzugefügt, betonte die Aufklärungsinitiative. Für sie handelt es sich »eindeutig um ein manipuliertes Beweismittel«.

Die Familie Oury Jallohs forderte angesichts der neuen Untersuchung die sofortige Wiederaufnahme der Ermittlungen wegen Mordes gegen die bereits namentlich bekannten Polizeibeamten des Reviers und stellte gleichfalls Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen die für die Einstellung der Mordermittlungen zuständigen Oberstaatsanwälte der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. In das Aufklärungsbemühen der Behörde habe man kein Vertrauen mehr, sagte Nadine Saeed von der Initiative. Sie forderte die Bundesanwaltschaft auf, die Ermittlungen wegen Mordes aufzunehmen.

In Karlsruhe wollte diese sich zu dem Thema jedoch nicht äußern. Man gebe zu Pressekonferenzen grundsätzlich keine Stellungnahmen, erklärte eine Sprecherin gegenüber »nd«. Mehr wollte sie nicht mitteilen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg teilte wiederum gegenüber Medien mit, das aktuelle Gutachten sei ihr noch nicht übermittelt worden. Sollte es sich dabei »um ein neues Beweismittel handeln, welches geeignet ist, einen genügenden Tatverdacht gegen eine konkrete Person zu begründen, könnten die Ermittlungen dann wieder aufgenommen werden«. Bei früheren Brandgutachten im Auftrag der Initiative von 2013 und 2015 sei das aber nicht der Fall gewesen.

Inwiefern die Initiative und die Angehörigen von Jalloh nun weiteren juristischen Spielraum haben, ist ungewiss. Das Oberlandesgericht Naumburg lehnte Ende 2019 einen Antrag der Familie auf Klageerzwingung als unzulässig ab. Der Antrag richtete sich gegen die Entscheidung des Generalstaatsanwaltes in Naumburg vom November 2018, das Verfahren nicht wieder aufzunehmen. Ende 2019 legten die Angehörigen daraufhin Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen seien nicht unvoreingenommen gewesen sowie lückenhaft und zögerlich durchgeführt worden, erklärte damals Rechtsanwältin Beate Böhler. Die Ermittlungen hätten »ausschließlich der Bestätigung der Selbstentzündungsthese« gedient. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus.

Nadine Saeed von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh sagte am Mittwoch: »Wir sind nicht in der Lage, die Staatsanwaltschaft zu etwas zu zwingen. Wir hoffen auf die Öffentlichkeit und den öffentlichen Druck.« Die Aktivisten und Angehörigen kämpfen seit nun fast 17 Jahren für Aufklärung.

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