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Diese Geistermusik bringt den Frieden
Plattenbau. Die CD der Woche: »Shade« von Grouper
Verzerrung, aber anders. Nicht als Signifikant von Überschreitung und Intensität und Kontrollverlust: Wenn Liz Harris in der Musik, die unter dem Namen Grouper erscheint, die Instrumente durch die Filter schickt, dann entsteht eine verhangene, vollkommen in sich gekehrte, eine gebrochene und zärtliche Musik.
Das ist keine Demonstrationen von Stärke mittels Distortion, sondern ein geglückter Versuch, mit Sounds, die anderswo als fehlerhaft rausgefiltert werden, eine Musik zu schaffen, die klingt, als würde sie an einem vorüberwehen. Auf »Shade«, dem zwölften Grouper-Album, sind Songs (wenn das Wort hier überhaupt noch trifft) zu hören, die in den letzten 15 Jahren entstanden sind.
Damit ist »Shade« quasi das Gegenstück zum Vorgängeralbum »Grid of Points« (2018), das in anderthalb Wochen aufgenommen wurde und spontan improvisiert klang. Die Aufnahmen waren damals so kurz, weil Harris damals im Studio starkes Fieber bekam und die Session abbrach. Dann war das Album halt nur 24 Minuten lang und trotzdem fertig. Die Musik von Grouper umarmt das Kranke und Unzulängliche auch im Produktionsprozess.
Das gilt auch für »Shade«, das folklastigste Grouper-Album seit »Dragging a Dead Deer Up a Hill« (2008). Über weite Strecken dominiert eine Akustikgitarre - wobei, dominiert stimmt nicht, sie ist einfach da -, die sehr einfache Melodien spielt.
Dazu die verhangene Stimme von Harris, die klingt, als würde sie hier gleich verschwinden in der Musik und die Musik im nächsten Schritt gleich mit. Auch ist sie falsch abgemischt, entweder zu nah oder zu weit entfernt, und damit so, wie diese sonderbare, traumhafte Musik es braucht.
Auf den frühen Alben verrauschten und verhallten abgewrackt klingende Maschinen den Klang. Nur im ersten Stück von »Shade«, »Followed the Ocean«, und in »Disordered Minds« mäandert der Sound noch in dieser unnachahmlichen Weise, brüchig und hoch konzentriert zugleich. Ansonsten erklingt auf »Shade« ein skizzenhafter Ambient Folk. In diesem Sinne sind die Lieder oder auch Tracks von Grouper transparenter geworden.
Die Skizze ist überhaupt die musikalische Form, die Liz Harris für sich gewählt hat. Nicht als etwas Vorläufiges, das noch fertiggestellt und perfektioniert werden müsste. Sondern als adäquate ästhetische Form für den Ausdruck einer tiefen Traurigkeit; was etwas anderes ist als schöne Melancholie. »Blue sky on the edges of my mind/How’d I fail to see you?«, singt Harris in »Kelso (Blue Sky)«. »Can’t believe that I don't get to see you/One more time/I asked you how you were doing/And you said ›fine‹.«
Die Musik von Grouper ist durch und durch Antirock. Keine Behauptung einer starken Position, keine Demonstration von Macht. Aber eben auch nicht einfach Passivität und Schwäche. Eher noch scheint Liz Harris zu versuchen, einen Raum zu schaffen, in dem Kategorien wie schwach/stark, passiv/dominant und krank/gesund endlich obsolet geworden sind.
Die Stimme, die klingt wie kurz vorm Verschwinden, erzeugt einen Sog, in den man sich hineinbegeben kann und der etwas Um- und Ausschließendes hat. Denn auch wenn die neun Stücke auf »Shade« auf seltsame und befremdliche Weise schön klingen, kann man sie doch nicht nebenbei hören.Was so fragil und verschwommen daherkommt, absorbiert einen, wenn man sich erst einmal einlässt, völlig.
Geistermusik. Doch diese Geister sind nicht bedrohlich oder unheimlich, sondern bringen vorübergehenden Frieden, allerdings keine Harmonie.
Grouper: »Shade« (Kranky / Cargo)
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