Zeit für eine Corona-Kritik von links

Linke müssen nicht nur das staatliche Handeln der vergangenen Monate kritisieren, sondern sich ebenfalls für die Rechte der (noch) nicht Geimpften einsetzen, meint Michèle Winkler

  • Michèle Winkler
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Der Ausbruch von Corona liegt bald zwei Jahre zurück. Die noch laufende Pandemie hat weltweit etwa fünf Millionen Leben gekostet. In Deutschland befinden wir uns mitten in der vierten Welle. Seit etwa einem Jahr stehen Impfpräparate zur Verfügung, in Deutschland galten am 14. November 67,5 Prozent der Menschen als vollständig geimpft. Mit Fortschreiten der vierten Welle kommt es zu hitzigen gesellschaftspolitischen Diskussionen und teils harten repressiven Maßnahmen, um bisher ungeimpfte Personen zur Impfung zu bewegen.

Betreiber*innen von Kultureinrichtungen etwa und der Einzelhandel können durch die sogenannte 2G-Regel den Zugang für von Corona-Genesene und geimpfte Personen freigeben und allen anderen den Zugang verwehren. Waren Supermärkte zu Beginn von der Option ausgenommen, so dürfen diese 2G nun auch anwenden. Zudem wurde die Kostenübernahme von Schnelltests zeitweilig beendet, und seit dem 1. November 2021 wird Ungeimpften bei Quarantäneanordnung die Lohnfortzahlung verwehrt. Die politisch nicht opportune Impfpflicht wird so umgangen – auch wenn deren Einführung mittlerweile wohl ehrlicher wäre.

Michèle Winkler
Michèle Winkler ist beim Komitee für Grundrechte und Demokratie tätig.Die in Köln ansässige Initiative setzt sich in verschiedenen Projekten für Bürger- und Menschenrechte ein. Seit 1997 gibt sie zudem im Verbund mit anderen Bürgerrechtsorganisationen jährlich den Grundrechte-Report heraus.  

Gleichzeitig gibt es noch immer kaum tragfähige Schutzkonzepte für Schulen, mittlerweile wird in einigen Bundesländern eine Durchseuchungsstrategie gefahren. Mit fortschreitender Pandemiedauer hat sich der Staat immer mehr aus der Verantwortung gezogen. Er hat den Pandemieschutz ganz im neoliberalen Sinne dem Einzelnen übertragen und agiert nun insbesondere mit ökonomischen Druckmitteln.

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Es gibt kaum öffentlich vernehmbare Kritik von links an den neueren Regelungen. Die deutschsprachigen Proteste sind in besonderem Maße von der radikalen Rechten getragen, progressive Akteur*innen wollen sich damit verständlicherweise nicht gemein machen. Hinzu kommt: Viele Menschen haben Entbehrungen hinter sich, leiden möglicherweise unter bleibenden Schäden oder haben gar geliebte Menschen durch das Virus verloren. Die Auswirkungen der Pandemie sind so unterschiedlich wie wir Menschen und unsere Lebensumstände, aber es ist wohl kaum jemand unbeschadet durch die vergangenen Monate gekommen.

Es ist nachvollziehbar, dass Unverständnis oder gar Wut herrscht, wenn die Option einer Impfung nicht genutzt wird, ist dies doch eine einfache Möglichkeit, sich selbst und andere besser zu schützen. Doch die Gründe, warum sich einige (bisher) nicht haben impfen lassen, sind vielfältig. Befragungen zeigen, dass nur ein Teil überzeugte Impfgegner*innen sind. Weitere Gründe sind unter anderem fehlende Zugänge zur Impfung, Faulheit, Ängste, fehlendes Vertrauen und eigene Risikoabwägungen – teilweise aufgrund von sich widersprechenden oder falschen Informationen im öffentlichen Diskurs. Deswegen braucht es weiter möglichst wohlwollende Diskussionen über den solidarischen Umgang miteinander. Es braucht einen unbürokratischen Zugang zu Informationen und Impfangeboten.

Gleichzeitig braucht es aber auch eine fundierte Kritik am staatlichen Handeln der vergangenen Monate. Denn es macht nicht alles Sinn oder ist aus grundrechtlicher Sicht verhältnismäßig: So benachteiligen kostenpflichtige Tests arme Menschen. Häufiges Testen ist zudem für Genesene und Geimpfte weiterhin sinnvoll, 2G könnte eine Sicherheit vermitteln, die schnell von der Realität überholt wird. Zudem können uns einige Entscheidungen aus radikaldemokratischer und menschenrechtlicher Sicht noch teuer zu stehen kommen. Der Abbau etwa von Arbeitnehmer*innenrechten in Abhängigkeit von Gesundheitsdaten wird nicht beim Umgang mit der Corona-Impfung stehen bleiben. Dass dies von der gesellschaftlichen Linken und den Gewerkschaften kampflos zugelassen wurde, ist erbärmlich.

Es braucht also das Eintreten auch für die Rechte der (noch) nicht Geimpften bei gleichzeitiger klarer Positionierung für einen umfassenden Gesundheitsschutz aller, für eine Patient*innen- und personalzentrierte Pflegereform, für die Unterstützung besonders betroffener Gruppen und Branchen. Und es braucht transnationale Zusammenarbeit und endlich die Aufhebung der Impfstoff-Patente.

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