Omikron wurde in Kongo noch nicht registriert

In dem zentralafrikanischen 90-Millionen-Einwohner-Land geht man eher lax mit der Corona-Pandemie um

  • Judith Raupp, Goma
  • Lesedauer: 4 Min.

»Zieht eure Masken auf«, ruft die Seminarleiterin in die Runde. Etwas widerwillig stülpen 25 Journalisten den Mund-Nasen-Schutz über das Gesicht. Sie beraten in der Millionenstadt Goma zwar darüber, wie die Medien die Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo über Covid-19 aufklären könnten. Aber kaum jemand hält während des Seminars im schlecht belüfteten Raum Abstand oder bedeckt Mund und Nase.

Für das Gruppenfoto besteht die Seminarleiterin auf korrekt getragenen Masken. Sie will den ausländischen Spender, der den Workshop finanziert, nicht verärgern. Schließlich wissen die Kongolesen, wie sehr die Menschen in der nördlichen Hemisphäre unter der Pandemie leiden. Die Fremden wären vielleicht schockiert, wenn sie auf einem Foto im Internet sehen würden, wie lax es in Kongo zugeht.

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Das Journalistenseminar ist kein Einzelfall. In vielen Workshops von Hilfsorganisationen oder in Firmenbüros tragen die Mitarbeitenden nur Maske, wenn ein ausländischer Geldgeber oder Investor zu Besuch kommt. Im Homeoffice arbeiten nur sehr wenige Angestellte, weil zu Hause der Strom dauernd ausfällt oder die Einheiten für das mobile Internet zu teuer sind.

»Leider sind die Leute hier nachlässig«, sagt Stéphane Hans Bateyi. Er leitet für die Regierung der Provinz Nord-Kivu die Impfkampagne gegen Covid und ist beunruhigt über die lasche Haltung vieler Landsleute. »Es ist gefährlich, wenn sich die Menschen ohne Schutz in Minibussen, auf Märkten, in Restaurants und Bars, in Kirchen, in Schulen und Universitäten drängeln«, warnt er. Auch wenn Kongo offiziell nicht viele Tote zähle, gehe die Pandemie keineswegs spurlos an dem Land vorbei, stellt Bateyi klar.

Das kongolesische Gesundheitsministerium in Kinshasa hat bis Anfang Dezember 59 174 Covid-Fälle und 1113 Tote registriert. »Wir kennen aber nicht alle Fälle, weil viele Kranke nicht zum Arzt gehen«, sagt Bateyi. In Kongo leben schätzungsweise 90 Millionen Einwohner. Zwei Drittel von ihnen sind arm und müssen jeden Tag darum kämpfen, ihre Familien zu ernähren. Covid ist für sie nur ein Problem neben Malaria, Cholera, Überfällen, Morden und staatlicher Willkür.

Nicht nur die Kongolesen, auch viele ausländische Entwicklungshelfer und Angestellte der weltgrößten Friedensmission der Vereinten Nationen ignorieren in ihrer Freizeit Maskenpflicht und Abstandsregeln. Als die Pandemie ausbrach, flüchteten viele Europäer und Nordamerikaner mit Sonderflügen in ihre Heimat. Niemand wollte riskieren, in einem Land ernsthaft krank zu werden, wo Intensivstationen und Sauerstoffgeräte fehlen. Inzwischen sind die meisten geimpft zurückgekehrt und genießen die Freiheit, auf dem Weihnachtsmarkt am malerischen Kivusee Glühwein zu trinken oder beim Latino-Abend unter freiem Himmel zu tanzen.

Ginge es nach Bateyi, müsste die Polizei Maskenpflicht, Abstandsregeln und die nächtliche Ausgangssperre schärfer kontrollieren, insbesondere jetzt, da sich die neue Virusvariante Omikron in manchen Ländern verbreitet. In Kongo wurde die Mutation bisher allerdings nicht registriert. »Ein Lockdown würde helfen, die Pandemie zu besiegen«, glaubt Bateyi. Außerdem wünscht er sich mehr staatliche Aufklärung über Covid und über das Impfen sowie eine Impfpflicht für alle staatlichen Angestellten. Die Weltgesundheitsorganisation gibt die Rate der vollständig Geimpften in Kongo mit 0,06 Personen pro 100 Einwohner an. Das ist die nie-drigste Impfquote weltweit.

Wer sich in Goma impfen lassen will, muss manchmal unverrichteter Dinge wieder heimkehren oder zumindest lange warten. Denn die Krankenschwester bricht eine Ampulle erst an, wenn jeweils sechs Impfwillige da sind, damit sie die Dosen sofort spritzen kann. An einem Morgen warten genügend Freiwillige vor dem Zelt im Hof des staatlichen Krankenhauses. Personal und Besucher tragen Masken. Eine Krankenschwester setzt die Spritze. Erst danach klärt ein freundlicher Herr über eventuelle Nebenwirkungen auf.

Seit in Kongo andere Vakzine als der Impfstoff von Astra-Zeneca angekommen sind, lassen sich etwas mehr Menschen immunisieren als zuvor. Sie folgen dem Beispiel des Staatspräsidenten Félix Thsisekedi. Er hatte öffentlich erklärt, dass er sich erst die Spritze geben lasse, wenn in Kongo ein anderer Impfstoff als Astra-Zeneca zur Verfügung stehe. Inzwischen gibt es alle Produkte. »Wir haben im Moment genug Impfstoff«, versichert Bateyi.

»Viele Leute gehen nur zum Impfen, weil sie reisen wollen, nicht aus Überzeugung«, beobachtet die Menschenrechtsaktivistin Passy Mubalama. Das ist ein Hinweis, dass sich eher die besser gebildeten und reicheren Kongolesen immunisieren lassen. Anders als Bateyi sieht Mubalama einen Lockdown kritisch. »Die Leute leiden jetzt schon unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Wie sollten sie überleben, wenn alles geschlossen würde«, fragt sie.

Die Preise für manche Lebensmittel haben deutlich angezogen, seit die Grenze zum Nachbarland Ruanda nur noch mit kostenpflichtigen Coronatests passierbar ist. Der Staat kommt den Menschen nicht zu Hilfe. Niemand bekommt Kurzarbeitergeld oder etwaige Umsatzausfälle ersetzt. Wer nicht arbeitet, kann nicht leben. »Die Maßnahmen gegen Corona treffen uns schlimmer als die Krankheit selbst«, sagt Mubalama.

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