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  • Wasserversorgung in Kongo

Kein Tropfen soll entweichen

Eine private Initiative hält im östlichen Kongo die Wasserversorgung für die Bevölkerung aufrecht

  • Judith Raupp, Goma
  • Lesedauer: 8 Min.

Frauen, Mädchen und einige wenige Jungs drängeln sich um einen Wasserhahn vor der Schule in Mugunga, einem Außenbezirk der kongolesischen Millionenstadt Goma. Sie halten gelbe Plastikkanister in der Hand. Wenn sie gefüllt sind, werden die Kinder und die Frauen die Last von 20 Litern auf den Rücken hieven und nach Hause schleppen. »Du bist dran«, ruft Micheline Ndoole einem Mädchen zu. »Stelle den Kanister richtig unter den Strahl, damit nichts daneben geht«, ermahnt sie das Kind. Ndoole betreibt den Wasserhahn im Auftrag der Firma Yme Jibu. Sie ist eine von 440 freien Agentinnen und Agenten (die meisten sind Frauen), die das kostbare Nass an die Bevölkerung weiter verkaufen. Eine flächendeckende Wasserversorgung zu jedem Haus existiert in der Demokratischen Republik Kongo nicht.

Ndoole und die anderen Verkäuferinnen müssen pro Kubikmeter Wasser umgerechnet 1,70 Euro an Yme Jibu bezahlen. Die digitalen Zähler registrieren jeden Tropfen. Leitung und Zähler liegen in einem Loch, das mit einem schweren Holzdeckel und Hängeschloss gesichert ist, damit sie niemand zerstören oder manipulieren kann. Es soll kein Wasser verschwendet oder gar gestohlen werden. Deshalb wacht Ndoole akribisch darüber, dass das Mädchen und die anderen Kunden das Trinkwasser abfüllen, ohne etwas zu verschütten. Für die 20 Liter, die ein Kanister fasst, müssen Ndooles Kunden 100 Francs (4 Cent) bezahlen.

»Wir mussten die Leute in langen Gesprächen überzeugen, bis sie bereit waren, für Wasser Geld auszugeben«, erzählt Jack Kahorha, Gründer und Mitinhaber von Yme Jibu. Er hat Stadtteilaufsehern und traditionellen Chefs erklärt, dass es einiges kostet, Wasserpumpen im Kivusee zu installieren, den im Kongo raren und teuren Strom zu kaufen, der die Pumpen antreibt, sowie Leitungen zu öffentlichen Wasserhähnen, zu Schulen, Waisenhäusern, Krankenhäusern und zu privaten Haushalten zu legen. Außerdem muss Yme Jibu das Wasser aus dem See in riesige Reservoirs leiten und mit Chlor versetzen, um die Bakterien abzutöten, die Cholera auslösen.

Zahlreichen Kongolesen ist es nicht bewusst, dass irgendjemand investieren muss, um Trinkwasser bereitzustellen. Die Einwohner von Mugunga und anderen Wohnvierteln am Stadtrand von Goma hatten mehr als zehn Jahre lang Wasser gratis von internationalen Hilfsorganisationen bekommen. Diese sind anstelle des Staates eingesprungen, um die Geflüchteten in den Lagern zu versorgen. Mal mussten die Menschen vor der Lava des Nyiragongo Vulkans um ihre Leben rennen, mal vor den Milizen flüchten, die seit Jahrzehnten die Bevölkerung im Ostkongo terrorisieren. »2016 wurde die Notlage plötzlich für beendet erklärt, und die Lager wurden geschlossen, so dass die Hilfsorganisationen die Budgets strichen«, erzählt Kahorha. Ohne externe Unterstützung drohte die Wasserversorgung zusammenzubrechen.

Von vielen Projekten bleiben nur Ruinen, wenn die Hilfsorganisationen sie nicht mehr finanzieren. Der ehemalige Diplomat Volker Seitz erinnert sich an zahlreiche Gespräche mit internationalen Geldgebern. Sie vermuteten, dass nur ein Fünftel der Projekte in Afrika einen langfristigen Nutzen für die Bevölkerung stifte, schreibt Seitz in einer E-Mail. Er gehört zu den Unterzeichnern des »Bonner Aufrufs«, in dem Politiker, Entwicklungshelfer, Journalisten und Geschäftsleute fordern, die Entwicklungszusammenarbeit neu auszurichten. So sollten zum Beispiel die Menschen in armen Ländern mehr in Entscheidungen einbezogen werden und selbst Verantwortung für eine bessere Zukunft übernehmen.

Wie es um die Nachhaltigkeit von Hilfsprojekten genau steht, weiß man allerdings nicht. »Die Wirkung wird selten auf lange Dauer beobachtet«, sagt Julia Leininger, Programmleiterin beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Tendenziell sei die Nachhaltigkeit aber in stabilen Regionen höher als in fragilen. Zu Letzterer zählt der Ostkongo. Obwohl Hunderte Hilfsorganisationen und die weltweit teuerste Friedensmission der Vereinten Nationen dort seit fast dreißig Jahren vertreten sind, haben sich die Lebensbedingungen für die Mehrheit der lokalen Bevölkerung kaum verbessert. Auch die Sicherheitslage ist instabil geblieben. Die beiden Provinzen Nord Kivu und Ituri im Osten des Landes werden wegen der anhaltenden Gewalt seit Mai sogar vom Militär regiert.

Yme-Jibu-Chef Kahorha bestätigt, dass Hilfsprojekte in seiner Heimat ziemlich oft kurzlebig seien, insbesondere wenn es um Infrastruktur gehe. »Es würde den Geldgebern das Herz brechen, wenn sie sehen würden, dass sie Millionen ausgegeben haben und danach fast nichts bleibt«, sagt Kahorha. Bei vielen Projekten bereite die Instandhaltung ein Problem. »Die Gemeinden werden nicht immer ausreichend geschult, wie sie zum Beispiel Pumpen und Leitungen im Gang halten können. Schon eine kleine Panne reicht, um alles lahmzulegen und verrotten zu lassen«, erzählt er.

Der Kongo besitzt laut Unicef die Hälfte der Süßwasserreserven ganz Afrikas. Aber nicht einmal die Hälfte der 90 Millionen Einwohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser. Daran hat sich Kahorha erinnert, als ihm zu Ohren kam, dass die Hilfsorganisationen das Wasserprojekt am Stadtrand von Goma einstellen wollten. Das wollte der studierte Experte für öffentliche Gesundheit nicht einfach hinnehmen. Er überzeugte zwei kongolesische Investoren sowie einen europäischen Kapitalgeber und gründete mit ihnen 2017 die Trinkwasserfirma Yme Jibu.

Die Investoren hatten Glück. Denn die Hilfsorganisation Oxfam, die das Wasserprojekt zuletzt betrieben hatte, überließ dem jungen Unternehmen die damalige Infrastruktur. »Wir haben nach einem Weg gesucht, wie die Wasserversorgung dauerhaft erhalten bleibt«, erklärt ein Sprecher. Yme Jibu renovierte manche Leitung, baute neue, installierte mehr Wasserhähne in den Wohnvierteln und mehr Reservoirs. Vier Jahre ist das nun her. Inzwischen versorgt Yme Jibu 83 000 Menschen mit Wasser.

Kahorha hat aber Größeres vor. Er fährt mit dem Geländewagen über einen holprigen Weg zu einer Baustelle am Kivusee. Ein Arbeiter schweißt Rohre zusammen, andere mauern ein Gebäude am Ufer. Dort zieht Kahorha eine Plastikfolie von einer frisch aus dem Ausland eingetroffenen Pumpe. Erste Versuche laufen bereits. Wenn alles gutgeht, wird die Pumpe in ein paar Tagen das Yme-Jibu-Netz mit aufbereitetem Trinkwasser speisen. »Dann werden wir bald 140 000 Konsumenten beliefern«, kündigt Kahorha an. Klar, das sind nicht besonders viele angesichts von Millionen Menschen, die im Großraum Goma leben. »Aber irgendwo muss man anfangen«, findet der 54 Jahre alte Firmenchef.

Er und seine beiden kongolesischen Partner haben 450 000 Euro in das Wasserunternehmen investiert. Sie mussten dafür Bankkredite zu teuren Zinsen aufnehmen, insbesondere seit sie sich mit dem europäischen Investor verkracht haben. Kulturelle Unterschiede und Streit um die Finanzierungsmodalitäten haben offenbar zur Trennung geführt. Das bestätigen jedenfalls beide Seiten. Kahorha und die beiden anderen kongolesischen Mitbesitzer halten nun jeweils ein Drittel des Unternehmens.

Das Geschäft lohnt sich. Inzwischen erzielt Yme Jibu mit 22 Mitarbeitern einen Gewinn von 18 000 Euro und einen Umsatz von 350 000 Euro. Zwei Drittel davon entfallen auf den Verkauf an den öffentlichen Wasserhähnen. Denn ein privater Hausanschluss an die Leitung kostet 860 Dollar. Das können sich nur reiche Menschen im Kongo leisten. Für direkt angeschlossene Privatkunden kostet ein Kubikmeter Wasser umgerechnet 1,75 Euro. An soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, Waisenhäuser oder Schulen liefert Yme Jibu zum halben Preis.

Kahorha hat viele Jahre lang für Hilfsorganisationen gearbeitet. Wie man Geschäfte macht, musste er erst lernen. Obwohl er so manches Engagement internationaler Geldgeber kritisch sieht, bezeichnet er sein Verhältnis zu den Hilfsorganisationen als »gut«. Schließlich unterstützen sie Yme Jibu gelegentlich. So haben sie anfangs das Personal der Firma geschult und wichtige Kontakte vermittelt. Oxfam bezahlt zudem die Automaten, an denen die Bevölkerung bald rund um die Uhr mit einer Geldkarte Wasser holen kann, sofern es die Sicherheitslage zulässt.

Einer der Automaten steht halb fertig neben dem Wasserhahn in Mugunga. Als Kahorha das Werk präsentieren will, kommen zwei Männer und beschweren sich. Das Stück Land, auf dem der Wasserspender für die Gemeinschaft stehen soll, gehöre ihnen, behaupten sie. Aber niemand habe sie um Erlaubnis gebeten, ob der Automat dort stehen dürfe. Kahorha hört zu, wendet ein, dass er den Chef des Viertels gefragt habe. Argumente und Höflichkeiten werden ausgetauscht. Die Männer bleiben stur. Kahorha verspricht, zurückzukommen, um die Sache zu klären. Der Firmenchef kennt das. Zuerst müssen viele Worte fließen, bevor das Wasser fließen kann.

Mit der Hilfsorganisation Mercy Corps verhandelt Yme Jibu gerade darüber, ob sie beim Bau neuer Leitungen und Brunnen behilflich sein könnte. Viele Leute ziehen aus Goma hinaus in das Gebiet, wo Yme Jibu tätig ist. Denn im Mai war der Vulkan Nyiragongo wieder ausgebrochen und hatte Erdbeben in der Stadt ausgelöst. Seit Vulkanologen verkündet haben, dass es außerhalb der Stadt sicherer sei, bauen jene, die es sich leisten können, schicke Häuser in den Außenbezirken.

Obwohl Yme Jibu den gesamten Gewinn reinvestiert, fehlt das Kapital, um allen Wasser zu liefern, die gerne welches hätten. Manchmal beschädigen Leute aus Wut Leitungen, weil Yme Jibu in ihrem Stadtteil noch keinen öffentlichen Wasserhahn anschließen konnte oder weil sie das Trinkwasser für zu teuer halten. Wenn die Täter erwischt werden, zwingt die Bevölkerung sie, den Schaden zu ersetzen. Die meisten Menschen wissen inzwischen, welch ein teures Gut Trinkwasser ist.

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