Werbung

Traurige Geschichten von Diskriminierung

Verein Utopia erstellt eine Chronik rechter und rassistischer Vorkommnisse in Frankfurt (Oder)

Wenn einer nicht so heißt oder so aussieht wie ein Einheimischer, kann er in Frankfurt (Oder) schief angesehen werden. Steigt er in einen Bus ein, rücken andere Fahrgäste von ihm weg. Steht er in einer Schlange an der Kasse, wird er nicht erst seit der Coronakrise von anderen Kunden angezischt, gefälligst mehr Abstand zu halten, obwohl er sich schon drei Meter entfernt hält. In manche Clubs und Bars lassen einen die Türsteher nicht rein. Bewerber werden abgelehnt oder bekommen erst gar keinen Termin für ein Vorstellungsgespräch, wenn ihr Name nicht deutsch klingt.

Krass auch das Erlebnis einer jungen Frau, die einen Ausbildungsplatz als Krankenpflegerin erhält und dafür ein Attest benötigt. Sie muss länger warten als andere Patienten, und als der Arzt sie endlich aufruft, fragt er sie zuerst, woher sie stamme. Sie soll plötzlich 80 Euro für das Attest bezahlen, obwohl sie aus der Schule weiß, dass es nur 5 Euro kostet. Bei einem anderen Arzt sind es dann tatsächlich nur fünf.

Das sind Fälle von Diskriminierung, aufgeschrieben von einem jungen Mann, der aus Afghanistan stammt und seit 2015 in der »kleinen, aber schönen Stadt« Frankfurt (Oder) lebt, wie er sagt. Für die zwei Seiten hat er »viele traurige Geschichten von Diskriminierung« gehört, die sich nicht nur beim Arzt und im Einkaufszentrum zugetragen haben, sondern »leider auch bei Behörden und manchmal sogar bei Vereinen«.

Der Verein Utopia gehört nicht dazu. Utopia hat jetzt für Frankfurt (Oder) erstmals eine spezielle Chronik rechter und rassistischer Vorkommnisse erstellt und diese am Montagabend im kleinen Kreis vorgestellt. 28 Vorkommnisse sind erfasst. Wahrscheinlich sei das nur die Spitze des Eisbergs und die Dunkelziffer wesentlich höher, heißt es. Auch sei nicht mehr zusammengekommen, weil man nicht das ganze Jahr 2021 über die Augen offenhielt und sammelte. Stattdessen habe man erst im November damit angefangen, alles nachträglich aus Polizeimeldungen und Zeitungen herauszusuchen und mit Augenzeugenberichten anzureichern.

Für Januar bis März konnten die Mitwirkenden überhaupt nichts entdecken. Sie glauben nicht, dass da wirklich gar nichts gewesen ist, sondern sie denken, dass wegen des Lockdowns solche Vorfälle den Medien und der Polizei nicht aufgefallen sind. Nicht enthalten sind auch einige Vorfälle, die den Machern der Chronik in den letzten Tagen nach Redaktionsschluss zu Ohren gekommen sind. Sie sollen dann in die Chronik für das nächste Jahr mit aufgenommen werden.

Gleich sieben der 28 erfassten Vorkommnisse entfallen auf den Juli. Denn am 17. Juli demonstrierten in Frankfurt (Oder) Neonazis der Bruderschaft Wolfsschar aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Anschließend wurden Menschen bedroht und beleidigt, unter anderem ein Gastronom, der die Polizei zu Hilfe rufen musste, die aber erst eintraf, als die Täter längst über alle Berge waren.

Die Verfasser der Chronik möchten übrigens vorerst nicht namentlich genannt werden, um sich vor möglichen Übergriffen zu schützen. Die Chronik soll in einer Auflage von 500 Exemplaren erscheinen. Der Druck hat sich jedoch etwas verzögert.

Für die kommenden Jahresberichte soll es ab Januar eine E-Mail-Adresse geben, über die Vorkommnisse bei Utopia gemeldet werden können. Der Verein möchte dann gegebenenfalls auch Hilfe für die Opfer vermitteln, wenn es erforderlich und gewünscht ist. Wie sagt der junge Mann aus Afghanistan: »Wir alle sind Menschen, und Menschen müssen gleichberechtigt behandelt werden - egal, woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben, welche Sexualität sie ausleben.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal