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- Rechtsradikalismus Sachsen
Regierung hält Sachsen nicht für immun gegen Rechtsextremismus
Kabinett legt »Gesamtkonzept Rechtsextremismus« vor / Konkrete Maßnahmen bisher nicht veröffentlicht
Gut Ding will Weile haben – die Prämisse gilt auch für ein Papier, das Sachsens Kabinett jetzt beschlossen hat: ein »Gesamtkonzept Rechtsextremismus«, das eine alle Ressorts übergreifende Strategie und konkrete Maßnahmen im Umgang mit dem Phänomen formuliert. Auf ein solches Konzept hatten sich die Koalitionspartner CDU, Grüne und SPD in ihrem Regierungsprogramm Ende 2019 geeinigt; auch die Linke fordert es seit Jahren. Im Juli 2020 hatten die drei Koalitionsfraktionen die Regierung in einem Antrag des Landtags »ersucht«, das Konzept bis »spätestens zum 31. Dezember 2020« zu erarbeiten. Erst nahezu ein Jahr später meldet diese nun endlich Vollzug.
Immerhin liegt ein solches Konzept nun vor – in einem Land, dessen Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) im Jahr 2000 behauptete, die Sachsen seien »immun« gegen den Rechtsextremismus, und in dem seine Parteifreunde diesen bis heute bei jeder Gelegenheit durch Verweise auf angebliche linksextreme Gewalt relativieren. Rechtsextremismus »wurde in Sachsen lange kleingeredet«, sagt Katja Meier, Ministerin für Justiz und Demokratie. Jetzt, fügt die Grünen-Politikerin hinzu, habe man ihn als »vordringliches Problem erkannt«. Im Papier wird formuliert, »die größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung« gehe derzeit vom Rechtsextremismus aus.
Das ist auf Sachsens Straßen fast täglich zu beobachten, aktuell bei Protesten gegen Coronapolitik und Impfungen, die im Freistaat maßgeblich von rechtsextremen Gruppierungen wie den »Freien Sachsen« organisiert werden. Sie stützen die Beobachtung im Konzept, wonach sich der Rechtsextremismus durch eine »hohe Dynamik« auszeichne und derzeit durch »Radikalisierung, Entgrenzung und Virtualisierung« gekennzeichnet sei. Endzeit- und Bürgerkriegsszenarien würden propagiert, Hass und Hetze im Netz betrieben und erfolgreich der Anschluss an breitere Bevölkerungskreise gesucht.
Aufstockung der Sicherheitsbehörden
Auf diese konkrete Entwicklung reagiert Sachsen mit einer Aufstockung der Sicherheitsbehörden. Angesichts der »zunehmenden Radikalisierung« seien je fünf zusätzliche Stellen bei Verfassungsschutz, der Zentralstelle Extremismus bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden sowie der Zentralstelle für Cybercrime geschaffen worden, teilte Innenminister Roland Wöller mit. Die Proteste seien zunehmend darauf gerichtet, die »verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik und ihrer staatlichen Organe und Institutionen zu delegitimieren«, erklärte der CDU-Politiker. Auch nach einem möglichen Abklingen der Pandemie müsse »mit einem Fortbestehen dieser Bestrebungen gerechnet werden«.
Das neue Gesamtkonzept billigt Behörden wie dem Verfassungsschutz oder der Polizei eine maßgebliche Rolle bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu; nötig sei etwa ein »gut geschulter Blick der Ermittlungsbehörden«, um demokratiefeindliche Bestrebungen zu erkennen, sagte Meier. Eine große Rolle spielen daneben Prävention und Beratung, wie sie das vor fünf Jahren gegründete Demokratiezentrum leistet. Dieses habe seit 2016 in über 2200 Fällen Beratung geboten, sagte die zuständige Sozialministerin Petra Köpping (SPD). Als wichtige Akteure anerkannt werden Initiativen wie die Mobile und die Opferberatung. Generell werden zivilgesellschaftliche Initiativen ebenso wie Kommunen »nicht als aufzuklärende Empfänger von Informationen« betrachtet, sondern als »Erfahrungsträger in der praktischen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus«.
In welchen konkreten Maßnahmen solche Erkenntnisse münden und wie das Regierungskonzept praktisch umgesetzt wird, ist bisher freilich nicht nachzuprüfen. Zwar teilt Wöller mit, dass dazu 50 konkrete Maßnahmen formuliert wurden. Sie nähmen »nicht nur einzelne Symptome in den Blick«, sondern wollten »dem Problem in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen begegnen«, fügt Meier hinzu. Allerdings sind diese konkreten Vorhaben in »Anlagebänden« zu dem zwölfseitigen Konzept aufgelistet – die bisher nicht veröffentlicht wurden. Ob und wann das geschieht, konnte das Justizministerium auf Nachfrage des »nd« nicht sagen. Eine öffentliche Überprüfung ist damit nicht möglich. Intern wollen die beteiligten Ministerien alle halben Jahre zum Stand der Umsetzung beraten; am Ende der Legislatur im Jahr 2024 soll Bilanz gezogen und über eine Fortschreibung beraten werden. Das jetzige Konzept sei »erst ein Anfang«, sagt Meier.
Nun muss es umgesetzt werden, und zwar schnell, sagt Valentin Lippmann, grüner Innenexperte im Landtag. Befeuert durch die Pandemie, erlebe man »täglich neue Grenzüberschreitungen« auf Sachsens Straßen. Die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen »dulden deshalb keinen weiteren Verzug in ihrer Umsetzung«.
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