Mehr Niederschlag als im Ahrtal

Anpassung an den Klimawandel: Brandenburg erarbeitet eine Strategie für Unwetter und Hitzewellen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Innerhalb einer Stunde fielen in der Uckermark knapp 200 Liter Regen pro Quadratmeter. In Prenzlau rutschte am Stadion ein Rasenhang ab, in einem Restaurant lief der Keller voll, und in einer Kita mussten die Kinder ins Obergeschoss gebracht werden, weil ins Erdgeschoss Wasser eindrang. Das geschah am 30. Juni vergangenen Jahres. Die Feuerwehr war am Nachmittag jenes Tages im Dauereinsatz.

Zum Vergleich: Bei der Hochwasserkatastrophe 14 Tage später im westdeutschen Ahrtal fielen pro Quadratmeter rund 150 Liter Niederschlag. Bereits bei 25 Litern sprechen Experten von einem Starkregen. Die Uckermark hatte Glück, erklärt Frank Kreienkamp vom Deutschen Wetterdienst. In Brandenburg gibt es keine hohen Berge, von denen der Regen schnell abfließt, und keine engen Täler, in denen sich eine Flut staut. Außerdem versickert das Wasser in den sandigen Böden schneller als anderswo.

Trotzdem: »Wir müssen uns in Zukunft verstärkt auf Extremwetterereignisse einstellen«, erklärt am Donnerstag Umweltminister Axel Vogel (Grüne). »Selbst bei erfolgreicher Reduktion von Treibhausgasemissionen werden sich die Klimaveränderungen weiter fortsetzen. Deshalb braucht es neben konsequentem Klimaschutz ebenfalls Anstrengungen und kluge Strategien zur Anpassung an die bereits jetzt spürbaren Folgen der Klimakrise.«

Das Land Brandenburg erarbeitet deshalb eine Klimaanpassungsstrategie. Mitte November hat sich das rot-schwarz-grüne Kabinett darauf verständigt. Ende 2022 soll ein Entwurf fertig sein und dann abgestimmt werden.

Nach den Ereignissen im Ahrtal beschlossen Bund und Länder, für den Wiederaufbau 30 Milliarden Euro bereitzustellen. Brandenburg steuert 30 Millionen Euro bei. Die Summen zeigen für Umweltminister Vogel, dass selbst kostenintensiver Klimaschutz am Ende billiger ist als die Folgen der Klimakrise. »Wir haben in Brandenburg auch schon sehr teure Klimaausfallerscheinungen gehabt. Wir hatten Waldbrände, wir hatten Ernteausfälle«, erinnert der Politiker. Im vergangenen Jahr seien mehr als 100 Hitzetote zu beklagen gewesen, im Jahr zuvor sogar 231 Tote.

Die Stadt Potsdam hat bereits begonnen, Vorkehrungen zu treffen. Sie kooperierte dabei mit der hiesigen Universität, dem Wetterdienst und dem Landesumweltamt. Entstanden sind dabei zum Beispiel Klimakarten, die zeigen, wo es in Potsdam bei Hitzewellen besonders heiß wird, und auch eine Karte zu den Gebieten, die durch Starkregen gefährdet sind. »Es ist unerlässlich, dass wir solche Grundlagen entwickeln«, betont der Umweltbeigeordnete der Stadt, Bernd Rubelt (parteilos), am Donnerstag.

Zu einer Überhitzung komme es in Großstädten, wenn sich die Straßenzüge in den Nachtstunden nicht mehr spürbar abkühlen. Potsdam hat es da mit seinen weiträumigen Schlossgärten, seinem Volkspark und anderen Grünanlagen noch vergleichsweise gut. Aber auch hier gibt es verdichtete Stadtquartiere, die sich schnell aufheizen, die Plattenbauviertel Am Stern und Am Schlaatz beispielsweise, nicht ganz so stark die barocken Blockstrukturen in der Innenstadt. Aber auch diese sind betroffen. Hier zeigt die Klimakarte rot eingefärbte Straßen und Häuser - und dazwischen grüne Flecken, das sind die begrünten Innenhöfe, die für etwas Frischluft sorgen.

Die Bepflanzung ist denn auch eine Lösungsmöglichkeit für das Problem. »Ja, mehr Bäume natürlich«, bestätigt der Beigeordnete Rubelt. Das würde gegen die Hitze helfen. Es sei aber auch die Frage, wo die Bäume in den Straßen überleben könnten. Auch die Entsiegelung von Flächen sei erforderlich und die Aufwertung von Grünanlagen.

Was den Starkregen betrifft, so hat Potsdam als ein Unwetterereignis, das normalerweise alle 100 Jahre einmal vorkommen könnte, einen Niederschlag von 46 bis 54 Millimetern pro Stunde definiert. Die Kanalisation ist freilich nicht so bemessen, dass sie derart viel Regenwasser aufnehmen und ableiten könnte. »Unsere gesamte Infrastruktur ist nicht darauf ausgerichtet, denn das Kanalnetz ist für den Normalfall und nicht für den Ausnahmefall projektiert«, weiß Rubelt.

Für 2,7 Millionen Euro soll in der Speicherstadt eine Regenwasser-Behandlungsanlage entstehen - für ein Einzugsgebiet mit einer Fläche von 8,4 Hektar. Das ist freilich nur ein Bruchteil des Stadtgebiets, das sich über fast 19 000 Hektar erstreckt, von denen rund 4700 Hektar bebaut sind.

Das zeigt: »Finanziell kann die Stadt das alleine gar nicht leisten.« Dafür hat Rubelt noch ein eindrücklicheres Beispiel: Die geplante Renaturierung des zum Teil schon in alten preußischen Zeiten begradigten Flüsschens Nuthe. Es soll sich auf seinem Weg zur Mündung in die Havel wieder mehr schlängeln, was bei Starkregen Abhilfe für ein Einzugsgebiet von 208 Hektar schaffen würde. Der Investitionsbedarf beläuft sich allerdings auf 15 bis 20 Millionen Euro. »Auch hier brauchen wir das Land, Herr Umweltminister«, bittet Rubelt um Unterstützung. Bis 2030, so hofft er, könnte die Nuthe renaturiert werden - wobei ihr ursprünglicher natürlicher Verlauf gar nicht mehr in allen Einzelheiten bekannt ist.

Auch Hausbesitzer könnten etwas tun. Rubelt zeigt die schematische Darstellung eines Gebäudes, in das mögliche Vorkehrungen eingetragen sind. Dazu zählen die Kontrolle und Reinigung der Dachrinne, eine Rückstausicherung im Schmutzwasserkanal und eine Tür zur Terrasse mit erhöhter Schwelle.

Man könne nicht erwarten, dass der Staat gegen extrem seltene Wetterereignisse absichert, meint Frank Kreienkamp vom Deutschen Wetterdienst. Aber es müssten wohl die Werte verändert werden, was ein sogenanntes 100-jähriges Ereignis sei - also beispielsweise ein Hochwasser, wie es nur einmal in 100 Jahren vorkommt.

Der Wetterdienst hat einige Fälle analysiert. Darunter die Dürre, die von April bis Oktober 2018 in Ostdeutschland herrschte. »Diese Dürre war ein extrem außergewöhnliches Ereignis«, sagt Kreienkamp. So etwas komme nur einmal in mehreren Hundert Jahren vor. Die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Fall eintritt, habe sich aber durch den Klimawandel verdoppelt. Bei der Hitzewelle in Europa im Juli 2019 kletterten die Temperaturen in Deutschland bis auf 41,6 Grad, in Frankreich sogar auf 45 Grad. Ohne Klimawandel wären es 1,5 bis 3 Grad weniger gewesen, erläutert Kreienkamp. Und dass Europa solche Hitzewellen erlebt, sei inzwischen dreimal wahrscheinlicher als früher.

Der Experte hat auch aus der entgegengesetzten Richtung ein Beispiel dafür, dass der Klimawandel bereits in vollem Gange ist: Den Kälteschock im Februar vergangenen Jahres. Minus 8,4 Grad wurden als Mittelwert für drei Tage an der Wetterstation Berlin-Dahlem gemessen. Seit 1908 war so etwas im Winter eigentlich alle zwei, drei Jahre vorgekommen. Durch den Klimawandel ist die Kälte in diesen Breiten aber seltener geworden. So erschienen uns die minus 8,4 Grad im Februar vergangenen Jahres außergewöhnlich kalt, erklärt Kreienkamp.

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