Brandenburg braucht Berufsschullehrer

Die Oberstufenzentren behelfen sich im Moment mit Seiteneinsteigern, aber das ist auf Dauer keine Lösung

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Brandenburg ist das einzige Bundesland ohne eine grundständige Ausbildung von Berufsschullehrern. Ob sich das ändert, ist auch nach der Sitzung des Bildungsausschusses am Donnerstag ungewiss. Um an der Universität Potsdam nun auch Berufsschullehrer heranzuziehen, müssten im Jahr fast drei Millionen Euro aufgewendet werden und das sei nicht aus dem derzeitigen Etat herauszupressen, sagte Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) den Landtagsabgeordneten.

Fest steht nun aber, dass ein solcher Studiengang, wenn er denn eingeführt wird, nicht an der Technischen Universität Cottbus, sondern in Potsdam eingerichtet werden soll. Mit den jetzt rund 4500 Lehramtsstudenten an der Universität Potsdam stünden wichtige Voraussetzungen für eine Ausbildung von Berufsschullehrern schon bereit. Die Raumsituation sei an beiden Universitäten gleichermaßen angespannt, erklärte die Ministerin. Dass Studierende in Cottbus leichter eine Unterkunft finden würden, mache den Vorteil Potsdams nicht wett, meinte sie. Schon heute fehlen jede Menge Berufsschullehrer in Brandenburg. Das Problem wird immer größer. Zwei Drittel der rund 2000 Lehrkräfte an den Oberstufenzentren sind derzeit älter als 50 Jahre. Pro Jahr treten mindestens 100 von ihnen in den Ruhestand. Es kommt kaum jemand nach. »Der Markt ist wie leer gefegt«, sagte Schüle.

Problem durch abgesagte Länderehe

Die Entscheidung, selbst keine Berufsschullehrer auszubilden, sei vor Jahrzehnten wohl unter dem Eindruck getroffen worden, dass die Länder Berlin und Brandenburg einmal fusionieren sollten, fügte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) hinzu. Das habe sich nun als Nachteil für Brandenburg herausgestellt. Derzeit nehme man Seiteneinsteiger, die eine berufsbegleitende Ausbildung durchlaufen. Es wäre aber »bedauerlich, wenn das der einzige Zugangsweg zur Berufsschule bleiben würde«.

Andreas Borowski, Direktor des Zentrums für Lehrerbildung der Universität Potsdam, sprach von »großen Hürden« für den Plan, Berufsschullehrer auf Master-Ebene auszubilden. Auch dort, wo eine solche Ausbildung angeboten werde, halte sich das Interesse junger Menschen sehr in Grenzen.

Die Rahmenbedingungen in Mecklenburg-Vorpommern seien ähnlich wie die in Brandenburg, sagte bei dem Fachgespräch im Bildungsausschuss Professor Andreas Diettrich von der Universität Rostock. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, das selbst Berufsschullehrer ausbildet, müsse gegen den Mangel angekämpft werden. Hier gebe es inzwischen Regionen, »in denen es keine Ausbildungsstrukturen mehr gibt«, bedauerte Diettrich. Das führe nicht etwa dazu, dass dort lebende junge Menschen zur Ausbildung woanders hingehen, sondern »dass sie gar nichts tun«, sagte der Professor. Die Situation sei teilweise dramatisch. »Die Menschen haben keine Bildungschancen.« Bedingt durch die Zuwanderung wachse die Schülerzahl wieder leicht an und die Schüler werden anspruchsvoller, nicht zuletzt, was die Kompetenz der Berufsschullehrer in Fragen der Digitalisierung betreffe, fügte Diettrich hinzu.

Wie in Brandenburg seien inzwischen Berufsschullehrer in Mecklenburg-Vorpommern tätig, die schon älter als 70 Jahre sind. Spezialisten wie Informatiker und Ingenieure sehen außerhalb des Schuldienstes bessere berufliche Aussichten für sich.

Junge Menschen haben kein Interesse

Diettrich räumte ein, das Interesse junger Menschen an einer Tätigkeit als Berufsschullehrer sei gering und von den 95 Bachelor-Studienplätzen und den 50 Master-Studienplätzen in Rostock sei jeweils nur ein Drittel besetzt. Von den wenigen, die überhaupt in Mecklenburg-Vorpommern bleiben wollen, wähle die Hälfte die Universitätsstädte Rostock oder Greifswald als Lebensort. »Ländliche Regionen sind für Lehrkräfte häufig unattraktiv.« Begründet werde das mit fehlenden Kitaplätzen oder auch mit dem unzureichenden Nahverkehr. Von denen, die in einer ländlichen Berufsschule ihr Schulpraktikum absolvieren, breche ein großer Teil die Ausbildung einfach ab und verlasse den Ort vorzeitig. Sein Fazit: »Wenn der Schulstandort unattraktiv ist, nützt es auch nichts, Lehrkräfte auszubilden.«

Michael Seifert vom Brandenburgischen Lehrerverband beruflicher Schulen sagte, es werde immer schwieriger, für die 24 Oberstufenzentren Nachwuchs zu gewinnen. Das betreffe auch Sozialpädagogen. Wenn der Kita-Schlüssel noch einmal geändert werden sollte, so dass es pro Erzieherin weniger zu betreuende Kinder gibt, werde das die Lage noch komplizierter machen. Seiteneinsteiger seien kurzfristig eine gute Lösung, »um Lücken zu überbrücken«. Aber ohne regulären Abschluss dürften sie beispielsweise nicht in Prüfungskollegien arbeiten. Wenn Berlin demnächst seine Lehrer wieder verbeamte, werde ein erneuter Konkurrenzdruck entstehen. Er rechne mit weiteren Verlusten in den Lehrerkollegien, sagte Seifert. »Berlin ist für viele als Arbeits- und Lebensort attraktiv.«

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