Sachlich blieb’s nur drinnen

Der Bundestag diskutiert über die Impfpflicht. Außerhalb der Mauern demonstrieren Impfgegner

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon vor dem Beginn der eigentlichen Debatte herrschte rund um das Berliner Reichstagsgebäude Aufregung. Hatten sich die häufig von Rechtsextremen organisierten und vorangetriebenen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in den letzten Wochen auf viele kleinere und größere Orte des Landes aufgeteilt, so waren Impfgegner*innen diesmal in die Hauptstadt gekommen. Immer wieder wird auf diesen Demonstrationen der Holocaust geleugnet oder verharmlost, so auch diesmal: Auf einer Versammlung vor dem ARD-Hauptstadtstudio hatte sich eine Frau ein Schild umgehängt, auf dem sie die Corona-Regeln mit einem »Genozid« verglich. Die Berliner Polizei führte die Demonstrantin noch während ihres Redebeitrags unter lautstarken Unmutsbekundungen der Menge ab.

Laut Behördenangaben waren 1600 Polizist*innen am Mittwoch bei den Ansammlungen im Regierungsviertel und am Brandenburger Tor im Einsatz. Rund um das Parlamentsgebäude wurden weiträumig Absperrungen aufgebaut, in der Nähe des Brandenburger Tors standen mehrere Wasserwerfer bereit. Zudem war die Bundespolizei auf den Bahnhöfen präsent. Im Internet hatten zahlreiche Gegner der Corona-Gesetze aus vielen Teilen Deutschlands zu Protesten aufgerufen; Beobachter*innen zufolge waren rechtsextreme Aktivist*innen vor Ort. Ebenso waren mehrere Bundestagsabgeordnete der AfD zu sehen, so Christina Baum und Dirk Spaniel. Angemeldet war auch eine Reihe von Gegendemonstrationen.

Bis zum frühen Nachmittag hatten sich allerdings weniger Menschen versammelt als erwartet. Insgesamt mehr als 1000 Demonstrant*innen waren an verschiedenen Stellen außerhalb der Absperrungen zusammengekommen. Die Polizei griff bei Verstößen teilweise hart durch, so wurden mehrere Dutzend Demonstrant*innen nach Angaben der Polizei auf der Straße Unter den Linden eingekesselt, um Personalien festzustellen.

Impfdebatte ohne Wagenknecht

Hinter den Mauern des Reichstags blieben die Reihen derweil leerer als üblich, was nicht nur an den verschärften Corona-Regeln im Hause lag. Bei der Linken zum Beispiel fehlte Sahra Wagenknecht, die just vor Beginn der Orientierungsdebatte über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, welche sie ablehnt, positiv auf das Virus getestet worden war. Wagenknecht ist ungeimpft, der Linken-Ikone wird von manchen eine Nähe zum Querdenkertum vorgeworfen. Allerdings ist sie Medienberichten zufolge wohlauf und hat keine Symptome. Die Linke sandte via Twitter Genesungswünsche an Wagenknecht und alle Infizierten - »ganz gleich, ob sie geimpft sind oder nicht«.

Um 15.15 Uhr eröffnete Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Aussprache. »Viele Menschen sind erschöpft, und wir alle wünschen uns eine möglichst schnelle Rückkehr zu einem normalen Alltag«, sagte die Sozialdemokratin. Die Impfpflicht-Debatte zwinge zu komplexen Abwägungen, die Menschen verlangten »in dieser angespannten Zeit von uns vor allem Orientierung«.

Als erste Abgeordnete sprach die SPD-Politikerin Dagmar Schmidt. Sie gehört zu einer siebenköpfigen Gruppe um die Gesundheitsexperten Dirk Wiese (SPD) und Janosch Dahmen (Grüne) sowie Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, die eine Impfpflicht ab 18 Jahren befürworten. »Es ist kein kleiner Schritt, wenn lange Zeit eine Impfpflicht ausgeschlossen wurde und diese dann doch eingeführt werden soll«, sagte Schmidt am Rednerpult, mahnte aber zu »Alternativen im Umgang mit der Pandemie«: Um einerseits Tote, Kranke und Long-Covid-Patient*innen und andererseits weitere Lockdowns zu verhindern, brauche es eine »sehr hohe Impfquote«. Sie wolle in die Impfpflicht »alle ab 18 einbeziehen, damit alle mit allen solidarisch sind, die mit mehr Kontakten mit denen, die ein größeres Risiko haben, und umgekehrt«.

Tino Sorge von der CDU/CSU beklagte, Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach hätten »keinerlei Richtungen« vorgegeben, bezeichnete das Handeln der Regierung als »Versteckspiel«. Die Ampel-Koalition hatte entschieden, die Debatte zu öffnen und keine eigenen Anträge vorzulegen, wohl aber hatten sich Scholz und Lauterbach als einfache Abgeordnete für eine Impfpflicht ab 18 ausgesprochen. Die Union wirft Scholz Führungsversagen vor, hatte sich bisher aber auch noch nicht positioniert. Eine »absolute Impfpflicht«, sagte Tino Sorge nun, sei der »falsche Weg«.

Dann schaltete sich Justizminister Marco Buschmann in die Debatte ein. »Worum es gehen muss, ist der Schutz des öffentlichen Gesundheitssystems«, sagte der FDP-Politiker. Weil der Expertenrat davon ausgehe, dass von der Gruppe der ungeimpften Über-50-Jährigen »die größte Sorge« ausgehe, müsse man »die mildere Alternative einer altersbezogenen Impfpflicht sehr ernst nehmen«. Für eine Impfpflicht ab 50 plädiert außerdem die Gruppe um den FDP-Gesundheitsfachmann Andrew Ullmann, zu der auch Grünen-Abgeordnete zählen.

Vogler: Impfpflicht »könnte geboten sein«

Die Linke-Politikerin Kathrin Vogler bezeichnete die Impfpflicht danach als »letzte Möglichkeit, wenn anders der Schutz der Gesundheit und die Wiedererlangung der Freiheiten nicht erreicht werden können«. Dann, so Vogler, könne eine Impfpflicht »nicht nur verfassungsgemäß, sondern dringend geboten sein«. Bei der Linken gibt es unterschiedliche Stimmen, Matthias W. Birkwald sprach sich später für Freiwilligkeit aus.

Auch eine Gruppe um den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki ist gegen jede allgemeine Impfpflicht. »Es ist ein großes Geschenk, dass ich mich frei entscheiden konnte, diesen Schritt zu gehen«, sagte Kubicki.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal