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»Die Gefahr fühlte sich real an«

Von »NSU 2.0«-Drohungen betroffene Anwältin sagte im Frankfurter Prozess aus

  • Joachim Tornau, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

Starr schaut Alexander M. geradeaus, die Arme auf dem Tisch verschränkt, die Schultern hochgezogen. Mit keinem Blick würdigt er die Frau, die er zweieinhalb Jahre lang mit Drohschreiben terrorisiert, rassistisch beleidigt und zu deren Ermordung er im Darknet aufgerufen haben soll. Seda Başay-Yıldız, Anwältin und Vertreterin der Nebenklage im Münchner NSU-Prozess, war wie niemand sonst zum Ziel des Psychoterrors des »NSU 2.0« geworden. Am Montag saß sie nur wenige Meter von M. entfernt auf dem Zeugenstuhl im Landgericht Frankfurt am Main.

Der Angeklagte hatte zum Prozessauftakt vergangene Woche seine vollkommene Unschuld beteuert. Laut Staatsanwaltschaft soll der arbeitslose Computerexperte aus Berlin von Başay-Yıldız regelrecht besessen gewesen sein. In mehr als einem Viertel der 83 Hassnachrichten, die die Staatsanwaltschaft ihm zur Last legt, ging es um die Frankfurter Juristin. Immer wieder bekam sie Faxe und Mails, die mit dem Kürzel »NSU 2.0« gezeichnet waren. Darin wurde ihr und ihrer Familie mit dem Tod gedroht. Aber auch Schreiben an ganz andere Adressat*innen enthielten Beschimpfungen und Bedrohungen der Anwältin. Und jedes Mal machte der Absender genüsslich klar, dass er über private Daten von ihr und ihren Angehörigen verfügte: Geburtsdaten, Wohnanschriften.

Interessiert schaut der Angeklagte hin, als jedes einzelne dieser Schreiben nun im Gerichtssaal auf eine große Leinwand projiziert wird. Hört zu, wenn die Strafkammervorsitzende Corinna Distler die Bedrohungen und Beleidigungen vorliest, die »Todesurteile«, die ständigen »Heil Hitler«, die Selbstbezeichnungen als »Der Führer« oder »SS-Obersturmbannführer«.

Nachdem sie im Sommer 2018 gegen die rechtswidrige Abschiebung des mutmaßlichen Leibwächters von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden vorgegangen war, habe sie Hunderte beleidigender Schreiben bekommen, erzählt Başay-Yıldız. Doch nur einmal habe sie Anzeige erstattet: nach dem ersten Fax des »NSU 2.0«, in dem ihr mit der barbarischen Ermordung ihrer kleinen Tochter gedroht wurde. Denn in dem Fax standen auch der Name des Kindes und die damalige Meldeanschrift der Familie, beides war öffentlich nicht bekannt. Das war eine andere Qualität gegenüber anderen Briefen.

»Ich hab gedacht, irgendjemand kommt um die Ecke und tut meiner Tochter etwas an«, sagt die 46-Jährige. »Diese Gefahr war für mich einfach unglaublich real.« Und es wurde noch schlimmer: In späteren Drohschreiben tauchten die Namen ihrer Eltern und ihres Ehemannes auf, die Geburtsdaten und schließlich auch die neue, eigentlich geheime Adresse. »Wir haben das sehr ernst genommen«, sagt Başay-Yıldız. Zumal die Anschrift auch noch mit einem Mordaufruf im Darknet veröffentlicht wurde und dubiose Gestalten um ihr Haus herumgestrichen seien, um es von allen Seiten zu fotografieren.

Als die Juristin gefragt wird, wie sich das alles auf ihre seelische Verfassung ausgewirkt habe, macht sie eine sehr lange Pause. »Ich kann damit umgehen«, antwortet sie dann. Aber ohne Wirkung blieben die Drohungen nicht. Sogar über eine Einschränkung ihrer Anwaltstätigkeit hat Başay-Yıldız zeitweilig nachgedacht. Und ihr Haus hat sie aufwendig sichern lassen. Vom Land Hessen, berichtet sie, habe sie dafür jetzt 50 000 Euro erstritten - weil der »NSU 2.0« ihre privaten Daten ja aus Polizeicomputern bekommen haben muss. Auch wenn ungeklärt ist, wie genau es dazu kam.

Der Angeklagte bleibt während der Schilderungen der Juristin konsequent beim starren Blick geradeaus. Als am Morgen Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler als Zeuge aufgetreten war, auch er ein Nebenklagevertreter im NSU-Prozess und auch er Empfänger einer »NSU 2.0«-Drohung, hatte sich Alexander M. weniger gut unter Kontrolle. »Der spinnt doch«, raunzte er, wieder einmal. Daimagüler hatte erklärt, der Beschuldigte sei ihm herzlich egal. Er empfinde für ihn höchstens Mitleid, so Daimagüler.

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