Niedersachsen will etwas gegen Wohnungslosigkeit tun

Landtag in Hannover befürwortet Prinzip »Housing First«

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Sobald sie eine »eigene« Wohnung bezogen haben, lassen sich für Menschen, die zuvor »auf der Straße« lebten, so manches Problem besser lösen. Diese Erkenntnis liegt dem Prinzip »Housing First« - etwa »Unterkunft zuerst« - zugrunde, das in Finnland erdacht worden war und das Niedersachsens Regierung landesweit umsetzen soll. Das besagt ein Plenarbeschluss, den das Parlament am Mittwochabend nahezu einstimmig fasste. Hintergrund waren Anträge der SPD/CDU-Koalition und der oppositionellen Grünen.

Kleine Unterschiede gab es in Formulierungen, in der Sache war sich der Landtag einig, vor allem im Wissen, dass die Pandemie die Lage wohnungsloser Menschen verschlimmert hat und - zum Beispiel durch Verlust des Arbeitsplatzes - auch solche Menschen in die Obdachlosigkeit getrieben hat, die zuvor eine Bleibe hatten. Das Projekt »Housing First«, mit dem Berlin gute Erfahrungen gemacht hatte, möge in Niedersachsen ausgebaut werden, um Betroffenen eine dauerhafte Perspektive zu bieten. Dies will der Landtag und auch, dass die Landesregierung mit den Kommunen ein Konzept zum kurzfristigen Schaffen von Unterkünften entwickelt - in Jugendherbergen, Schullandheimen oder gemeindeeigenen Räumlichkeiten.

Große Bedeutung in punkto Housing First, so Hanna Naber (SPD), komme dem sozialen Wohnungsbau zu. Das Land könne und wolle den Kommunen »auch nach der Pandemie« unter die Arme greifen, wenn es gelte, Wohnungslosen sicheren Rückzugsraum zu bieten. Besonderes Augenmerk sei auf die Lage von Frauen zu legen. Das Schaffen von Wohnraum trage dazu bei, den sozialen Frieden zu sichern. Zur Zeit aber werde durch die Pandemie »die Ungleichheit verstärkt«.

Jenes Verschärfen der Situation wohnungsloser Menschen durch Corona stellte auch Christoph Eilers (CDU) heraus. Die Betroffenen litten unter mangelnder medizinischer Versorgung, unzureichenden Möglichkeiten zur Hygiene, »sie müssen täglich ums Überleben kämpfen«, mahnte der Unionspolitiker. Eine feste Wohnung biete denen, die ohne Unterkunft »einen zehrenden Weg beschreiten müssen«, eine gute Basis zur Regeneration der Selbsthilfekräfte. Doch dürften die Menschen auch nach Einzug in eine »Housing First«-Unterkunft nicht alleingelassen werden, vielmehr müsse man ihnen engagierte Menschen zur Seite stellen, die ihnen helfen, den Anschluss ans gesellschaftliche Leben wieder zu erreichen.

Volker Bajus (Grüne) hob hervor, wie beschämend es für die Politik eines reichen Landes sei, wenn Menschen auf der Straße schlafen müssten, während Hotels in der Pandemiezeit als finanziellen Ausgleich für leer stehende Zimmer Unterstützung aus öffentlichen Mitteln bekommen. Mit einer Wohnung, so unterstrich der Abgeordnete den Wert des Prinzips »Housing First«, lasse sich so manches Problem besser lösen.

Zur Problemlösung sollen, so ist den Anträgen der Großen Koalition und der Grünen zu entnehmen, eine ganze Reihe von Detailforderungen beitragen. So sollen Straßenambulanzen die medizinische Versorgung Betroffener verbessern, kostenlos sollen sie FFP2-Masken bekommen. Mit Blick auf die Frage »wer soll das bezahlen«, unterstreichen Sozial- und Christdemokraten: Die finanziellen Folgen der Pandemie belasten die öffentlichen Haushalte zwar extrem, aber es müsse auch in diesen Zeiten dafür gesorgt werden, dass Wohnungslosen ein menschenwürdiges Umfeld geschaffen werde, das ihnen Ruhe und Stabilität bietet. Dazu gehöre es, dass parallel zu Housing-First-Projekten die Standards in kommunalen Unterkünften verbessert werden. Es sei wichtig, dass soziales Miteinander und das Vertrauen in Politik und deren Lösungsfähigkeit nicht gefährdet werden.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal