Muslime und Hindus Seite an Seite

Die Bauernbewegung sagt bei den Regionalwahlen in Indien dem Nationalismus von Premierminister Narendra Modi den Kampf an

  • Dominik Müller
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Bauernaufstand in Indien schwelt weiter. Und er überlagert die derzeitig stattfindenden Regionalwahlen. Der Aufstand wurde nach mehr als einem Jahr im Dezember 2021 lediglich ausgesetzt, nachdem die Regierung den Bauern schriftlich zugesichert hatte, nicht nur die drei umstrittenen Agrargesetze zurückzunehmen, sondern auch weitergehende Forderungen zu erfüllen.

Viele blickten mit Spannung auf den 1. Februar, als der neue Haushalt vorgestellt wurde. Was würde er nach den historischen Bauernprotesten für die Landwirte enthalten, war die Frage, die vielen durch den Kopf ging. Aber auch im Haushaltsentwurf der Zentralregierung gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Regierung auf die Forderungen der Landwirte eingehen oder Lösungen für die grundlegenden Sorgen der Landwirte anbieten will, etwa steigende Betriebsmittelkosten.

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Der indische Premierminister Narendra Modi selbst hatte bereits Ende November verkündet, die Agrargesetze zurückzuziehen. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt: Er hat die im Februar und März angesetzten Wahlen in den bevölkerungsreichen Bundesstaaten Punjab und Uttar Pradesh im Blick, bei denen knapp 200 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können. Die Wahlen gelten traditionell als Richtungswahlen und beide Bundesstaaten waren Hochburgen der Bauernproteste. »Trotz mehrerer Versuche, den Landwirten die Vorteile zu erklären, sind wir gescheitert«, erklärte der bekennende Hindunationalist Modi von der Indischen Volkspartei BJP gegenüber der Presse.

Die Bauern, die ihren bemerkenswerten Sieg feierten, hatten aber sehr wohl verstanden, um was es bei den Gesetzen ging: Sie sollten als Türöffner dienen, unter anderem für die großen Supermarktketten. Früchte und Getreide sollten fortan nicht mehr über den regulierten Großhandel, sondern direkt an interessierte Käufer veräußert werden können. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass damit ein Wettrennen der billigsten Anbieter und ein regelrechtes Preisdumping befeuert wird. Die Aufkäufer können aufgrund ihrer Marktmacht über kurz oder lang die Preise diktieren. »Wachsen oder weichen« heißt dann das Motto.

Neben gesetzlich garantierten Mindestpreisen für ihre Produkte forderten die Bauern, dass sämtliche Klagen gegen Bauern zurückgenommen werden, die sich an den Protesten beteiligt hatten - und Entschädigungen für die Familien, deren Angehörige dabei ums Leben kamen. Samyukta Kisan Morcha (SKM), ein Dachverband von mehr als 40 Bauernverbänden, die sich im November 2020 zusammengeschlossen hatten, um den zivilen Ungehorsam gegen die Agrargesetze zu koordinieren, spricht von insgesamt 714 Toten. Viele von ihnen seien durch Hitze und bei der zweiten Covid-Welle ums Leben gekommen, einige auch durch brachiale Gewalt.

Im vergangenen Oktober erreichte die Gewalt gegen die Bauern mit mehreren Toten ihrer traurigen Höhepunkt. Das zeigt, wie explosiv die Situation in Indien ist - und wie brutal Angehörige der Regierungspartei BJP gegen ihre Kritiker vorgehen. Bei Bauernprotesten anlässlich einer Kundgebung des stellvertretenden Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh, Keshav Prasad Maurya (BJP) kam es zu acht Toten: In Lakhimpur nahe der nepalesischen Grenze war der Sohn eines Bundesministers mit seinem SUV in eine Gruppe protestierender Bauern gefahren. Er stritt die Vorwürfe ab, wurde aber verhaftet. Der Vorfall hatte landesweit Empörung ausgelöst.

Mindestens zwei weitere Bauernproteste wurden wenig später auf die gleiche Art attackiert. In Tikri, wo sich eines der Protestcamps an der Grenze zur Hauptstadt Delhi befand, kamen drei Bäuerinnen ums Leben. Ein Landwirt im Bundesstaat Haryana erlitt schwere Verletzungen, nachdem ein Auto auf ihn und andere demonstrierende Bauern zugerast war. Es gehörte zum Konvoi des BJP-Abgeordneten Nayab Saini. Statt des Fahrers nahm die Polizei drei der Bauern in Gewahrsam. In Haryana war die Stimmung besonders bedrohlich: Manohar Lal Khattar, der amtierende Ministerpräsident des Bundesstaates, ebenfalls ein BJP-Mann, hatte wenige Tage vorher auf einem Parteitreffen dazu aufgerufen, Gruppen mit jeweils mehreren Hundert Anhängern zu formen und »zu den Knüppeln zu greifen«, um es den protestierenden Bauern zu zeigen. Auch sollten sich die Angreifer keine Sorgen machen, wenn sie für drei bis sechs Monate ins Gefängnis müssten. »Ihr werdet große Anführer werden, eure Namen werden in die Geschichte eingehen«, versprach ihnen der Ministerpräsident.

Der nationale Sprecher des größten indischen Bauernverbandes Bharatiya Kisan Union (BKU), Rakesh Tikait, hatte die Gewalt gegen die Bauern verurteilt. Die Regierung zeige »ihr grausames und undemokratisches Gesicht« und sei offensichtlich bereit, zu jedem Mittel zu greifen, um die Bewegung gegen die Agrargesetze zu zerschlagen. Sollte sich die BJP-Regierung nicht bessern, drohte Tikait »werden die Bauern den Parteiführern verbieten ihre Dörfer zu betreten.«

Bis zur gesetzten Frist Mitte Januar hat die Regierung in Delhi das geforderte Komitee zu den Mindestpreisen einberufen oder einen Termin dafür genannt. Auch die Familien der toten Bauern wurden bisher nicht entschädigt. Sprecher des Zusammenschlusses SKM sprechen von »Betrug«.

Bisher ist es noch keiner Regierung in Indien gelungen, gegen die Landbevölkerung zu regieren. »Die Bauern haben schon der Macht der Moguln und der britischen Regierung widerstanden«, so BKU-Sprecher Tikait. Das könnte sich auch bei den anstehenden Wahlen im Punjab und in Uttar Pradesh bemerkbar machen.

Markenkern der BJP ist der Hindunationalismus und die damit einhergehende Islamophobie. »Sehr zu ihrem Leidwesen hat die Bauernbewegung nun einen synkretistischen Charakter angenommen«, schreibt die Online-Zeitschrift »The Wire«, sie vereine »verschiedene Gemeinschaften, die nun bereit sind, die Bewegung auf andere Überlebensfragen auszuweiten, von sozialer Gerechtigkeit bis hin zu Bürgerrechten.« Das ist um so bemerkenswerter, als noch 2013 die Unruhen von Muzaffarnagar zwischen Hindus und Muslimen den ganzen Westen des Bundesstaates Uttar Pradesh spalteten. Die Unruhen mit ihren 62 Toten und mehr als 50 000 Vertriebenen in ganz Indien gingen durch die Medien.

Bei den Bauernprotesten standen Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften Seite an Seite. »Die Mörder unserer Bauernbrüder treten auf den Listen der BJP an«, kursieren Botschaften unter dem Hashtag Farmersprotest in den sozialen Medien. Wie im vergangenen Jahr im Bundesstaat Westbengalen wollen Bauernorganisationen eine »No vote for BJP« Kampagne auflegen, »Keine Stimme für die BJP« und deren Politik gegen die Bauern offenlegen. Nicht nur die Bauern, auch Studierende und Jugendliche machen mobil gegen die BJP und ihren Ministerpräsidenten Yogi Adityanath, der ihnen Jobs versprochen, aber nicht geliefert habe. Der rechts von Modi stehende Ministerpräsident und seine BJP schüren wie zuvor den Hass gegen Muslime, befeuern die sozialen Medien und ihre Reden mit Botschaften gegen Kuh-Schlachtungen, »Liebes-Jihad« und warnen vor einer vermeintlichen »Muslim-Dominanz«, vor der die Hindus geschützt werden müssten.

Im Bundesstaat Punjab lebt die traditionell starke Sikh-Gemeinschaft, die nach dem Attentat auf die Premierministerin Indira Gandhi in den 1970er Jahren von Teilen der hinduistischen Mehrheitsgemeinschaft vielerorts attackiert worden war. In diesem Bundesstaat werden auch die kommerziellen Interessengruppen angegangen. Ein Demonstrant sagte gegenüber »The Wire«, dass in den Dörfern von Punjab »die Menschen jetzt damit begonnen haben, Waren von Firmen zu boykottieren, die hinter der Kommerzialisierung und Privatisierung stehen«. Es sind Unternehmen, die die Bauern unter zusätzlichen Preisdruck setzen. Ein Beispiel ist die von Mukesh Ambani geführte Reliance Industries Limited. Ambani ist einer der reichsten Männer der Welt und zum Konzern gehört auch der gleichnamige Einzelhandel. Es ist die größte Einzelhandelskette in Indien, die Tausende von Supermarktfilialen betreibt. Ohne regulierten Großhandel stünde der Preisdrückerei des Konzerns nichts mehr im Wege.

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