Problem Männerüberschuss

Politik überlegt: Wie kann man jungen Frauen die Lausitz schmackhaft machen?

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Die beträchtlichen demografischen Verwerfungen nach der Wende 1989/90 sind gerade in der Lausitz nicht überwunden. Der Sonderausschuss des Landtags zum Strukturwandel in der Lausitz nahm in seiner Sitzung am Freitag vor allem die Frauen in den Blick und suchte Wege, sie vom Wegzug abzuhalten oder zur Rückkehr zu bewegen.

Brandenburgs Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sprach davon, dass im Süden des Landes bei den 20- bis 40-Jährigen 100 Frauen 120 Männer gegenüberstehen. Frauen seien nach 1990 besonders von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen, sie hätten sich als der mobilere Teil der Gesellschaft erwiesen. Vor allem die jüngeren Frauen verließen die Lausitz wie auch insgesamt Ostdeutschland. Nonnemacher zufolge haben sich die Geburtenzahlen nach der Wende halbiert. Dies habe dazu geführt, dass »fast eine ganze Generation heute in Ostdeutschland fehlt«. Die Menschen fehlen auch als Fachkräfte und als Eltern der nächsten Generation. Auf Männerüberschuss und Frauenmangel führte Nonnemacher die Ausbreitung von Intoleranz, die Fremdenfeindlichkeit und die Ablehnung der Demokratie zurück. Heute leben 15 Prozent weniger Menschen in Ostdeutschland als zu DDR-Zeiten.

Trotz des in der Lausitz bestehenden Fachkräftemangels berichten die wenigen in die alte Heimat zurückkehrenden Frauen nicht selten, nur mit großen Schwierigkeiten einen ihrer Ausbildung angemessenen Arbeitsplatz zu finden. Für die Ministerin ist hier ein Grund der geringe Anteil an Frauen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren. Nur etwa ein Viertel der Kreistagsabgeordneten und Stadtverordneten seien Frauen. »Es muss darum gehen, den Anteil der Frauen in der Politik zu erhöhen.«

Brandenburg werde in der Frauenminister-Konferenz der Bundesländer den Antrag einbringen, Gremien geschlechterparitätisch zu besetzen, mit Finanzmitteln nicht nur einseitig männerdominierte Branchen zu unterstützen und kommunale Gleichstellungsbeauftragte als Interessenvertreter zu stärken.

Für den Landtagsabgeordneten Philipp Zeschmann (Freie Wähler) war dies eine »abstrakte Problembeschreibung«, aus der nicht hervorgehe, was nun passieren müsse, damit Frauen nicht länger die Lausitz verlassen. Worauf sei denn zurückzuführen, dass »die Verbundenheit der jungen Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren mit ihrer Heimat Lausitz am geringsten ist«, fragte er. In einer Anhörung durch den Sonderausschuss führte Frauenforscherin Julia Gabler die unbefriedigende Lage unter anderem darauf zurück, dass Frauen »in der regionalen Führungskultur Ausschluss erfahren«. Mehr an der Macht und den Entscheidungen beteiligt, »würden sie andere Schwerpunkte setzen«. Stattdessen dominiere in der Region das Muster des männlichen Industriearbeiters.

Von der Enttäuschung vieler Frauen über das, was sie nach der Wende erfahren mussten, sprach Aline Erdmann vom Bündnis der Lausitzer Gleichstellungsbeauftragten. Sie regte eine spezielle Rückkehrprämie für Frauen an.

»Frauen und Kohle - das geht durchaus«, beteuerte Linda Rudolph von der Jugend- und Auszubildendenvertretung des Braunkohlekonzerns Lausitzer Energie AG. Aber: »Es kann nicht sein, dass man von manchen Dörfern aus nur zweimal am Tag die Gelegenheit hat, mit dem Bus in eine größere Stadt zu fahren.« Die Dramatik der Abwanderung von Frauen nehme sie als Cottbuser Fußballerin wahr, die auch in der sorbisch-wendischen Frauenauswahl spiele. »In der Stadt Forst kriegen sie es nicht mehr hin, eine Mannschaft zu bilden. Weil die Leute einfach gehen.«

»Wir machen die Frauen zum Problem und vergessen dabei die Männer«, mahnte die Landesgleichstellungsbeauftragte Manuela Dörnenburg. In der Lausitz würden viele junge Männer leben, die ebenfalls Familie, Beruf und Freizeit gut miteinander vereinbaren wollten. Die Erhöhung des Frauenanteils in verschiedenen Gremien allein werde das Problem nicht lösen: »Das Soziale ist nicht weiblich. Es dient allen.«

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