Sterben in der Ukraine, feiern in Russland

Während ukrainische Zivilisten im russischen Bombenhagel umkommen, bejubelt Moskau den Jahrestag der Krim-Annexion

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Morgen begann mit ohrenbetäubenden Explosionen: Russland hat am Freitag den Flughafen der westukrainischen Stadt Lwiw angegriffen. Dabei schlugen sechs vom Schwarzen Meer kommende Marschflugkörper in ein Flugzeugreparaturwerk ein, meldete die ukrainische Armee. Opfer soll es zunächst nicht gegeben haben. Zwei russische Raketen habe die Luftabwehr abgeschossen.

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew nahmen russische Truppen am Freitag das Wohnviertel Podil unter Feuer. Dabei sei ein Mensch getötet worden, 19 Menschen seien verletzt worden - darunter vier Kinder, so der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko. Sechs Wohngebäude, ein Kindergarten und eine Schule wurden demnach schwer beschädigt. Insgesamt seien seit Kriegsbeginn 222 Menschen in der Hauptstadt getötet worden, meldeten die Kiewer Behörden. Unter den Toten seien 60 Zivilisten. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Am dramatischsten ist die Lage nach wie vor in Mariupol. Die von russischen Truppen eingekreiste Hafenstadt in der Südostukraine steht unter ständigem Beschuss. In den Straßen toben erbitterte Kämpfe. Einem Bericht des Mariupoler Lokalfernsehens zufolge sollen noch zwischen 300 000 und 350 000 Menschen in der Stadt ausharren. Ungewiss bleibt das Schicksal der Zivilisten, die am Mittwoch in einem Luftschutzkeller unter dem Stadttheater Zuflucht gesucht hatten. Das Gebäude war von einer russischen Rakete getroffen worden. Wider aller Erwartungen hatte der Schutzraum dabei standgehalten. Trümmer des zerstörten Theaters versperren jedoch den Zugang zu der Zufluchtsstätten. Noch immer sollen bis zu 1300 Menschen in dem Keller eingeschlossen sein, informierte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmila Denissow, am Freitag. Erst 130 Menschen seien aus den Trümmern gerettet worden.

Im Zentrum der russischen Angriffe standen am Freitag auch weitere ukrainische Großstädte wie Charkiw an der Grenze zu Russland und Sewerodonezk im ukrainisch gehaltenen Teil des Gebietes Luhansk. In Kramatorsk im Donezker Gebiet kamen bei Einschlägen zweier russischer Raketen am Freitag zwei Menschen ums Leben. Auch mittelgroße und kleine Städte wurden nicht verschont: Die russische Armee beschoss unter anderem die 20 000-Einwohner-Stadt Merefa in der Region Charkiw und die Gemeinde Nowyje Petrowzy mit 7900 Anwohnern im Kiewer Gebiet.

Insgesamt sollen seit Kriegsbeginn mehr als 1000 russische Raketen auf die Ukraine abgefeuert worden sein. Mit diesen Angaben zitierte der US-amerikanische Fernsehsender CNN einen anonymen Beamten aus dem Pentagon. Der ukrainische Generalstab schätzt, dass auch Kalibr-Marschflugkörper der russischen Marine und Iskander-Kurzstreckenraketen gegen Wohnviertel eingesetzt werden - also ungenaue Waffen mit großflächiger und wahlloser Wirkung.

Unterdessen mehren sich Meldungen über logistische Probleme der russischen Armee. Moskau könne seine Truppen nur unzureichend mit Nahrung und Treibstoff versorgen, schätzt der britische Geheimdienst ein. Der Grund: Russland kontrolliere den ukrainischen Luftraum nicht, Truppenbewegungen über Land seien sehr verlustreich. Nach Einschätzungen des ukrainischen Generalstabs soll den russischen Truppen mittlerweile die Kraft für eine Offensive fehlen. Moskaus Vormarsch sei an sämtlichen Fronten zum Stehen gekommen. Der Aggressor müsse schwere Verluste hinnehmen. Einem Bericht der »New York Times« zufolge sollen mehr als 7000 russische Soldaten gefallen sein.

Während in der Ukraine das Sterben weiterging, feierte Russland am Freitag den achten Jahrestag der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. In mehreren Städten fanden Kundgebungen statt, im Moskauer Luschniki-Stadion besuchten mehr als 200 000 Menschen das Festkonzert »Krimer Frühling. Für immer zusammen«. Die Feiernden schwenkten russische Trikoloren und Fahnen mit dem Buchstaben Z - dem russischen Symbol des Krieges gegen das Nachbarland. In einer Rede lobte Präsident Wladimir Putin die »militärische Spezial-Operation« gegen die Ukraine als »heldenhaften« Einsatz der russischen Armee, welcher genau nach Plan verlaufe. Über der Bühne prangte der Schriftzug »Für eine Welt ohne Nazismus«. Margarita Simonjan, Chefredakteurin des Fernsehsenders Russia Today (RT), bestritt während der Veranstaltung, dass Russland Mariupol angreift und forderte, »Mütterchen Russland« müsse die wirklichen Täter bestrafen.

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