Lasst uns in Frieden (23): A-Bomb Bop

Jazzmusiker Charles Mingus bringt mit »Oh Yeah« ein Album zur Hochzeit des Kalten Krieges heraus. Einige Songs sind Bomben gegen das wahrscheinliche Bomben.

  • Robert Mießner
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Jazzmusiker Charles Mingus (1922-1979)
Der Jazzmusiker Charles Mingus (1922-1979)

Ein Protestlied, dessen Text hauptsächlich aus zwei unmissverständlichen Zeilen besteht und dann doch ein Rätsel aufgibt: »Oh Lord, Don't Let'Em Drop That Atomic Bomb On Me«. Den Song gegen die Bombe hat der Jazzmusiker Charles Mingus, im April jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal, am 6. November 1961 in den Atlantic Studios, New York City, mit einem Sextett eingespielt. Sparsame Eröffnung durch Bass und Piano, Mingus sagt das Stück an, die Band steigt ein und spielt einen getragenen Blues. Mingus singt: »Oh, Lord, don't let'em drop it / Stop it«, so weit, so klar. Aber was meint dann »Be-Bop it«? Die Ursprünge des Worts bleiben im Dunkeln, es heißt, der Trompeter Dizzy Gillespie habe im Harlem der Vierzigerjahre aus den Silben eine Lautmalerei gebildet, um einem Musiker einen gewünschten Sound zu verdeutlichen. Gut möglich. In der Musikgeschichte ist Bebop eine der Stilistiken, mit denen der Jazz anfing, Zähne zu zeigen.

Als das Album »Oh Yeah«, erscheint, sind die Kalten Krieger des zweiten Nachkriegsjahrzehnts dabei, sich mehr als die Finger zu verbrennen: Im April 1961 ist die Invasion in der Schweinebucht, der Versuch kubanischer Exilanten, mit Hilfe der CIA die Revolutionsregierung unter Fidel Castro zu stürzen, gescheitert. 1962 wird in der Kubakrise ein globales nukleares Armageddon vom Albtraum zur Möglichkeit werden. Im August 1961 ist mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen worden, im Oktober haben sich am Checkpoint Charlie sowjetische und US-amerikanische Panzer unmittelbar gegenübergestanden. Das ganze Jahr über ist der Algerienkrieg eskaliert, am 17. Oktober haben 30 000 Algerier in Paris gegen die Ausgangssperre demonstriert, das Massaker von Paris hat eine unbekannte Zahl von Toten und Tausende von Verletzten hinterlassen.

»Oh Yeah« ist ein Album, das nach seiner Zeit klingt, »Oh Lord, Don't Let'm Drop That Atomic Bomb On Me« gehört dabei noch zu den konventionelleren Titeln. Der Albumopener »Hog Callin' Blues« kommt mit Sirenensounds daher. Sogar komische Momente hat »Oh Yeah«, endet aber mit fünf Minuten, die als Vorgriff auf Sounds gehört werden können, die es so kaum schon gab: »Passions Of A Man« ist eine Collage der Stimmen und Instrumente aller Beteiligter, dockt zwischen Free Jazz und E-Musik an. Zum Ende hin spielt Mingus ein geradezu impressionistisches Klavier, bevor Drummer Danny Richmond den wuchtigen Schlusspunkt setzt. Wer in Frieden gelassen werden will, sollte sich der einen oder anderen Ruhestörung nicht verschließen.

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