Mehr Farben, als das Auge sehen kann

Der Umweltsatellit »Enmap« beobachtet die Erde mit Hyperspektralinstrumenten

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Spektrometereinheit des Enmap-Satelliten
Die Spektrometereinheit des Enmap-Satelliten

Der Klimawandel ist nicht erst seit dem jüngsten Report des Weltklimarats IPCC ein drängendes Problem. Und dem Klima macht nicht nur die nach wie vor kaum gebremste Verbrennung fossiler Energieträger zu schaffen. Auch mit dem Abholzen von Wäldern, dem Austrocknen von Feuchtgebieten und anderen Landnutzungsveränderungen trägt die Menschheit massiv zur Klimaerwärmung bei. Hinzu kommen Rückkopplungseffekte wie das Auftauen von Permafrostböden. Das Ausmaß dieser Veränderungen ist oftmals nur ungefähr bekannt, da auch riesige kaum besiedelte Gebiete betroffen sind. Einen wichtigen Beitrag zur Erfassung der Veränderungen leisten seit Jahren Beobachtungen aus Flugzeugen und Satelliten. So stammen die Daten zur Abholzung der Regenwälder am Amazonas hauptsächlich aus der Auswertung von Satellitenbildern.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Doch längst kann man nicht nur Rodungen in Waldgebieten dokumentieren. Die Beobachtung in verschiedenen Bereichen des Infrarotlichts erlaubt auch Angaben über die Belaubung, die Wasser- und Nährstoffversorgung der Pflanzen. Dazu sind allerdings Bilder nötig, die nicht nur eine gute räumliche Auflösung aufweisen - also wie viele Meter auf der Erdoberfläche einem Bildpunkt entsprechen. »In der optischen Fernerkundung analysieren wir die Reflexionseigenschaften von Materialien im Wellenlängenbereich von 400 bis 2500 Nanometern«, erläutert Karl Segl vom Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Das reicht vom sichtbaren Licht bis ins sogenannte Nahe Infrarot. Bei den bisher auf Satelliten gängigen Multispektralsensoren werden davon ausgewählte Wellenlängenbereiche - bis zu 13 - abgetastet.

Doch mit dem Start der deutschen Umweltsonde »Enmap« (Environmental Mapping and Analysis Program - Umweltkartierungs und Analyseprogramm) am 1. April werden die Messmöglichkeiten deutlich verbessert. »Enmap« ist nämlich mit zwei Hyperspektralinstrumenten ausgestattet, die mit insgesamt 242 Wellenlängenbereichen das interessierende Spektrum quasi kontinuierlich aufnehmen. Damit könne man selbst feine Reflexionsunterschiede bei nahe beieinanderliegenden Wellenlängen noch erkennen, sagt Segl.

Eigentlich sollte der Satellit bereits 2009 starten, doch wie Saskia Förster vom GFZ erklärt, waren damals einige Technologieentwicklungen noch nicht so weit. Die entsprechenden Entwicklungen haben dann deutlich länger gedauert, als geplant. Insbesondere die notwendige Kühlung der Sensoren sei eine Herausforderung gewesen. In praktisch jedem elektronischen Chip - auch solchen zur Bildaufnahme - tritt störendes Rauschen auf, je wärmer der Chip, desto mehr. Besonders kritisch ist das bei Infrarotkameras, die ja faktisch Wärmestrahlung aufnehmen sollen. Wegen des Standes der Technik bei Entwicklungsbeginn werden auf »Enmap« auch zwei getrennte Systeme mit verschiedenen Sensortypen eingesetzt, einer für den Bereich vom Violett bis zum Beginn des Infrarot (420 bis 100 Nanometer - VNIR) und einer für den sogenannten kurzwelligen Infrarotbereich (900 bis 2500 Nanometer - SWIR). Missionsleiter Sebastian Fischer beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist überzeugt, dass »gerade mit diesen Technologieentwicklungen der Raumfahrtstandort Deutschland spürbar gestärkt« worden ist. Der Satellit und das Hyperspektralinstrument wurden vom Bremer Raumfahrtunternehmen OHB-System entwickelt und gebaut. Für die Wissenschaftler beim GFZ brachten die Verzögerungen mehr Zeit zur Entwicklung von Algorithmen zur Datenauswertung und zur Entwicklung von Schulungsmaterialien für Nutzer, konstatiert Saskia Förster.

Während frühere Multispektralsysteme in der Regel mit optischen Filtern die einzelnen Bereiche auf verschiedene Sensoren lenkten, arbeiten die beiden »Enmap«-Systeme mit speziellen Prismen, die das einfallende Licht in kontinuierliche Spektren aufspalten. Die werden mit Spiegeln auf Sensoren projiziert, wo für etwa 1000 Bildpunkte jeweils 242 aneinandergrenzende Spektralbereiche von nebeneinanderliegenden Pixeln erfasst werden. Wenn man an die 48 Millionen Pixel der Kamera eines einfachen Smartphones denkt, klingt die Zahl der Pixel bei »Enmap« nach sehr wenig. Doch wer diese Handykamera mal bei schlechtem Licht benutzt hat, ahnt, warum in dem Falle weniger mehr ist. Sind die einzelnen Sensorzellen zu klein, kommen nach der Aufspaltung in 242 Bereiche einfach zu wenig Photonen an, um ein Signal über dem Grundrauschen zu erzeugen. Deshalb sind die Einzelpixel beim VNIR-Sensor mit 24 x 24 Mikrometern ziemlich groß. Und anders als eine normale Digitalkamera entsteht das zweidimensionale Bild nicht auf einmal, sondern indem das Hyperspektralsystem die Erdoberfläche beim Überflug aus 650 Kilometern Höhe in 30 Kilometer breiten Streifen scannt. Damit erreicht »Enmap« eine räumliche Auflösung von 30 Metern, das heißt, ein Bildpunkt entspricht 30 x 30 Metern auf der Erdoberfläche.

Für Missionsleiter Fischer ist diese räumliche Auflösung ein vernünftiger Kompromiss, denn für die Beobachtung und Modellierung vieler Umweltprozesse genügt diese räumliche Auflösung in Kombination mit der hohen spektralen Auflösung. Da ein untersuchter Zielort alle vier Tage beobachtet werden kann, lassen sich auch vergleichsweise kurzfristige Änderungen der Vegetation oder auch Erosionsvorgänge gut untersuchen.

Jedes Material auf der Erdoberfläche reflektiert das Sonnenlicht in einer für ihn charakteristischen Art und Weise und hinterlässt so eine sogenannte Spektralsignatur. Diesen »farbigen Fingerabdruck« kann »Enmap« mithilfe seines Messinstruments unterscheiden und abbilden. »Jeder einzelne Bereich liefert ein Foto, das den Wissenschaftlern spezielle Informationen über den Zustand unserer Erde gibt. So können wir zum Beispiel den Gesundheitszustand von Pflanzen aus dem All messen und genau verorten. Der Bauer hat dank der Satellitenperspektive jeden Winkel seines gesamten Feldes im Blick. Er kann dann anhand dieser Daten zielgerichtet entscheiden, wie und wo er düngen und bewässern muss. Das schont nachhaltig Ressourcen und liefert gleichzeitig mehr Ertrag«, erklärt DLR-Forscher Fischer.

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