Mit dem Status quo gegen den Status quo

Ein Trauerspiel des bürgerlichen Politikverständnisses: »Radikale Kompromisse« von Yasmine M’Barek

  • Özgün Kaya
  • Lesedauer: 5 Min.

Yasmine M’Barek ist Redakteurin im »Ressort X« der »Zeit«. Diese Abteilung wurde vor fast drei Jahren für die »großen Themen unserer Zeit« gegründet, wie man jetzt noch im Internet nachlesen kann. Diese »großen Themen« seien »Wohnen oder Mobilität, Ernährung oder Erziehung, Ungleichheit oder Geschlechterrollen«.

Yasmine M’Barek hat Journalismus und Sozialwissenschaften studiert. Sie machte schon früh von sich reden, als sie in ihren Instagram-Storys die Klamotten bekannter Politiker kommentierte und in ihrem eigenen Politik-Podcast vor allem über die Union sprach. Diesen Blick für Oberflächliches und Konservatives hat sie sich erhalten, wie man in ihrem nun erschienen Buch »Radikale Kompromisse« nachlesen kann. Anhand eher journalistisch als politisch umkämpfter Themen wie Gendern, Atomenergie, Generationenkonflikt und die sogenannte Cancel Culture versucht sie auf 192 Seiten einen Grundriss der Debattenkultur aufzuzeichnen, was natürlich den Glauben voraussetzt, dass es so etwas gibt. Rein technisch betrachtet konfrontiert die ihre eigenen Vorstellungen mit denen bekannter Kolleg*innen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Im Grunde bin ich der Meinung, dass ein Schriftsteller seiner inneren Wachstumskurve folgen und auf das Beste hoffen sollte« - dieses Zitat von Doris Lessing stellt M’Barek ihren Überlegungen voran. Vielleicht gefiel ihr der optimistische Ton. Er hat aber auch etwas Entlarvendes. Denn damit arrangiert man sich nicht nur mit dem Profitzwang der kapitalistischen Produktionsweise (»Wachstumskurve«), sondern anthropomorphisiert ihn gleichzeitig zur »inneren Wachstumskurve«. Ökonomie verinnerlichen: Auf den nächsten Seiten fragt sich M’Barek, wie Veränderung möglich sein kann, ohne im Chaos zu enden. Es geht nicht nur um Kompromisse, es geht um »radikale« Kompromisse. Dieser Zusatz ist ein Versuch, den eigenen Stillstand zu kaschieren. Da hilft es auch nicht, wenn auf den letzten fünf Seiten dieses Buches darauf verwiesen wird, dass man ja mal falsch liegen könnte und unter Umständen alles nur halb so wild sei.

Nun stellt sich die Frage, was M’Barek denn verändert haben möchte. Antwort: Die vermeintliche Debattenkultur und die Politik - die sollte zu einer »Realpolitik« transformiert werden. Und wie soll das gehen? Durch Kompromisse. Obacht: radikale Kompromisse. Denn nach Ansicht von Yasmine M’Barek gibt es in Deutschland keine (radikalen) Kompromisse mehr. Dieses Land sei dem Ende nah, denn keiner wolle mehr mit dem anderen reden.

So fragt sie sich: »Seit wann finden demokratische Meinungen jenseits von rechts- und linksextrem keinen Platz mehr im Diskurs?« Früher habe das doch so gut funktioniert. Und jetzt: »Jeder nach seiner Façon? Längst nicht mehr.« Unter Adenauer und Brandt sei das noch möglich gewesen. Ja, Adenauer habe sogar das Fundament für Brandts Ostpolitik geschaffen. Von Adenauers Atomwaffenträumen ist keine Rede.

Bei diesem mangelnden Geschichtsbewusstsein stellt sich die Frage, was M’Barek über Politik zu wissen glaubt. Mehrfach, in jedem Kapitel, kommt sie nicht drum herum, Politik als eine Art Spiel zu definieren, das stets nach demselben Schema funktioniere: »Idealisten setzen Impulse und reiben sich an den Konservativen, die stagnieren und Stabilität bewahren wollen. Realisten versuchen, zwischen diesen Polen zu vermitteln. In der Mitte trifft man sich.«

Wollen wir also »die drängenden Fragen unserer Zeit« beantworten, dann müssen diese drei karikaturhaft beschriebenen Politikertypen zusammenkommen: Idealisten, Konservative, Realisten. Aber leider laufen »gesellschaftliche Debatten« aktuell anders, moniert M’Barek, »nämlich ohne dass wir einen Konsens anpeilen«.

Und deshalb stellt sie an einer anderen Stelle ihres Buches fest: »Es geht hier um Kompromisse, nicht um Konsens.« Was fehlt denn nun: der Konsens oder der Kompromiss? M’Barek würde vielleicht entgegnen, dass sich darüber streiten ließe, aber dass dieser Part nun auserzählt sei - schnell zum nächsten Thema!

Solche Irritationen finden sich zuhauf in diesem Buch. Insbesondere wenn man sich die Details ihrer politischen Kategorisierungen anschaut. Auch sie weiß, dass ihr durch ihr »radikales« Plädoyer für »die Mitte« die Hufeisen aus der Theorie um die Ohren fliegen werden. Alle paar Seiten versucht sie sich präventiv zu verteidigen und zeigt auch mal in aller Kürze die inhaltlichen Gegensätze von Linken und Faschisten auf. Aber sie wäre ja nicht die Vertreterin der Mitte - in ihren Augen mit Progressivität gleichzusetzen -, wenn sie nicht andeuten würde, dass diese beiden sogenannten Pole nicht doch irgendwie zusammengehörten.

Für sie stellt sich die gedachte Verbindung durch ihre Konstruktion der »Idealisten« her: »Ideale haben nicht nur die Linken, sondern auch die Ideologen am rechten Rand.« An anderer Stelle wird behauptet, dass sich Linke und Rechte im Antikapitalismus gleichen würden. Aber »Linke sind demokratisch, Rechte Nazis, das ist klar«, schimpft M’Barek.

Sie ärgert sich über Linke, die sie sich selbst ausgedacht hat. Diese Linken gingen mit ihren Forderungen nach Gerechtigkeit zu weit, was im Fall der Klimaaktivisten von Fridays for Future beispielsweise dazu führen würde, »dass die Klimakrise zum unlösbaren Problem mutiert ist«. Kapitalismuskritik schrumpft bei der Autorin zu einem »Teil des Diskurses«, aber »letztlich ist das ganz einfach keine Option«. Denn »Tatsache ist: Die Deutschen stören sich nicht am Kapitalismus. Und zwar mit überwältigender Mehrheit.«

Diese und andere Bewertungen entwickelt M’Barek aus irgendwelchen Umfragen und stellt sie als Wahrheit dar: »wenn es nach den Zahlen geht, ist die Sache klar«. So einfach ist das. Der große Fehler von Yasmine M’Barek ist nicht der, dass sie Antikapitalismus keine Chance gibt. Das große Problem ist, dass sie ihr Demokratie- und Politikverständnis nicht als Ausdruck des Status quo erkennt. Sie versucht also dem Status quo mit dem Status quo zu begegnen. Man möchte M’Barek ihre eigenen Worte entgegenhalten: »Denken Sie größer, Sie können das!«

Yasmine M’Barek; Radikale Kompromisse.Warum wir uns für eine bessere Politik in der Mitte treffen müssen. Hoffmann und Campe, 192 S., geb., 18 €.

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