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»Wir können Recycling«

In der Demokratischen Republik Kongo nimmt sich eine Bürgerbewegung der Müllbeseitigung an

  • Judith Raupp, Goma
  • Lesedauer: 8 Min.

Mitten auf dem steinigen Weg glimmt ein verkohlter Haufen. Rauch steigt auf. Es riecht nach verbranntem Gummi und Plastik. Solche Abfallreste begegnen einem oft, wenn man mit dem Aktivisten King Ndungo Mwamisyo durch die ostkongolesische Millionenstadt Goma läuft. Der 25 Jahre alte Jurastudent schimpft: »Bei uns funktioniert die Müllabfuhr nicht, deswegen zünden die Leute einfach alles an.« Goma ist damit nicht allein. Zwei Milliarden Menschen in armen Ländern leben auf der ganzen Welt ohne Müllabfuhr. Das zieht negative Folgen für die Gesundheit und die Umwelt vor Ort nach sich, hat aber auch Folgen für Europa.

Um zu begreifen, was es für die Menschen bedeutet, wenn der Abfall nicht entsorgt wird, begleitet man Mwamisyo von der Bürgerbewegung »Kampf für den Wandel« am besten auf den Markt Alanine. Der Aktivist zieht eine Maske über Mund und Nase, nicht wegen Corona, sondern wegen des Gestanks. Er zeigt auf einen Müllberg, der beinahe bis zum Dach eines Lebensmittelkiosks reicht. Der Abfall blockiert den Weg. Lieferautos kommen längst nicht mehr durch. Fliegen und Stechmücken schwirren umher. Vor manchen Marktständen stehen Lachen mit Fäulniswasser. Wer Kohl, Karotten oder Kartoffeln einkaufen will, muss darüber springen.

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»Der Dreck liegt schon fast ein paar Jahre hier, die Stadt kümmert sich nicht darum«, schimpft Mwamisyo. Jedes Mal, wenn er auf den Märkten in Goma vorbei schaut, sieht er den Unrat wachsen - und die Wut der Leute, die dort arbeiten. Eine von ihnen ist Noella Nyandui. Sie schleppt Säcke mit Gemüse und Obst am Abfallberg vorbei. Wenn es regnet, muss die 50 Jahre alte Trägerin knöcheltief durch Schlamm und Unrat waten. Ständig wird sie von Mücken gestochen. »Ich habe oft Kopfschmerzen, und immer wieder bekomme ich Malaria und Durchfall. Ich stecke sogar meine eigenen Kinder an«, klagt sie.

Durchfall ist laut Ärzte ohne Grenzen die zweithäufigste Todesursache bei Kindern in Afrika, die jünger als fünf Jahre sind. Die britische Hilfsorganisation Tearfund schätzt in ihrer Studie »No time to waste«, dass in Entwicklungsländern weltweit jedes Jahr bis zu einer Million Menschen sterben, weil Müll nicht fachgerecht entsorgt wird.

Abfall zieht Ratten und Mücken an. Sie übertragen Typhus, Cholera, Malaria, Lepra oder Denguefieber. Diese Krankheiten gehen in armen Ländern mangels Ärzten und Medikamenten oft tödlich aus. Zudem schädigt der Rauch des verbrannten Mülls die Atemwege der Menschen.

Inzwischen haben sich Verkäuferinnen und Lastwagenfahrer um den Aktivisten Mwamisyo geschart. Sie reden durcheinander, klagen über Gestank und Schmutz. »Niemand nimmt uns ernst«, wettert eine Marktfrau. Auch Mwamisyo wünscht sich, dass das Abfallproblem mehr Aufmerksamkeit bekommt. »Unser Müll ist auch euer Problem«, sagt er zur Journalistin.

Damit hat er wohl recht. Wenn Müll vergraben, offen liegen gelassen oder verbrannt wird, entstehen klimaschädliche Gase wie Methan oder Kohlendioxid. Laut einer Studie der Weltbank haben Treibhausgase, die auf diese Weise entstanden sind, schon 2016 fünf Prozent der weltweiten Emissionen ausgemacht. Inzwischen dürften es noch mehr sein. Außerdem verschmutzen Tüten und Plastikflaschen, die Menschen in Bäche und Seen schmeißen, die Ozeane, bedrohen Meerestiere und gelangen in die Nahrungskette des Menschen.

Mwamisyo findet, es ist höchste Zeit, den Abfallberg in Goma zu bekämpfen. Dabei hat er einen Verbündeten: Müllmann Patrick Siwako. Er arbeitet für Great Vision Business, eine von 30 privaten Entsorgungsfirmen in Goma. Gerade fährt er mit dem einzigen Müllauto seines Chefs auf die Deponie zehn Kilometer außerhalb der Stadt. Das Stück Brachland liegt offen neben den Feldern der Bauern und ist so groß wie ein Basketballplatz. Kinder spielen in der Nähe. »Bonjour poubelle« grüßen sie Siwako, »Guten Tag Abfalleimer«.

Der Müllmann lacht und zeigt stolz auf Haufen mit Glas, Metall, Plastik und Bioabfällen. »Wir trennen den Müll«, erzählt Siwako. Einige andere Firmen würden den Abfall in der Stadt auf klapprige Lastwagen laden, einen Teil der Ladung unterwegs verlieren und den Rest irgendwo in die Landschaft werfen, erzählt er. Das bestätigt auch das städtische Abfallamt.

Nur, was passiert mit den Wertstoffen, nachdem Siwakos Kollegen sie fein säuberlich von Hand getrennt haben? »Aus Biomüll machen wir Kompost, aber wir bräuchten dringend Recyclingfirmen«, sagt Siwako. Er kennt sich damit aus, er hat Umweltwissenschaft studiert. Müllmann wurde er, weil es für Uniabsolventen im Kongo kaum Jobs gibt. Als Siwako den Müllwagen durch diverse Schlaglöcher wieder Richtung Stadt lenkt, fallen ihm einzelne Recyclingprojekte ein. »Manche Hilfsorganisationen stellen aus Plastik Pflastersteine oder Taschen her«, weiß er.

»Wir können Recycling«, ist Siwako überzeugt. Die Armut treibe die Menschen seit jeher dazu, alles, was geht, wieder zu verwerten. So werden aus Kronenkorken Spielsteine für Brettspiele, aus Tomatenmarkdosen werden kleine Herde, aus getrockneten Babywindeln wird Anzünder für das Feuer zum Kochen, Altöl dient als Anstrich für die Holzhütte als Schutz gegen Regen. Was fehlt, ist Recycling im großen Stil.

Aber das ist nicht alles. Zuvor auf dem Markt hat Aktivist Mwamisyo erzählt, weshalb die meisten Menschen in Goma auf eine Müllabfuhr verzichten, obwohl es private Entsorger gibt. Diese müssen für einen 60-Liter-Sack zwei Dollar verlangen, damit sich das Geschäft rechnet. Das ist für die meisten der 90 Millionen Kongolesen zu teuer. Zwei Drittel der Bevölkerung leben von 1,90 Dollar am Tag. Einen Sack Müll zu entsorgen, würde bedeuten, einen Tag lang auf alles andere zu verzichten.

Mwamisyo redet mit den Marktfrauen nicht nur über Abfall und Armut. Die Verkäuferinnen erzählen ihm auch, wie sie auf dem Nachhauseweg oft überfallen werden und alle Einnahmen verlieren. Sie fürchten um ihre Kinder. Kidnapping der Kleinsten ist in Goma zu einem lukrativen Geschäft geworden. Wer außerhalb der Stadt Gemüse und Obst von den Bauern kauft, läuft zudem Gefahr, von Milizen angegriffen zu werden. »Die Leute sind psychisch im Dauerstress, wer denkt da an seinen Müll«, fragt Mwamisyo.

Nur auf dem Markt, dort stört er die Leute. Immerhin bezahlen die Verkäuferinnen Standgebühren an die Stadt, die dafür den Müll abholen soll. Mwamisyo rechnet vor, dass die Stadt auf den vier großen Märkten in Goma insgesamt jeden Tag 300 Dollar einnimmt. »Das müsste für die Abfallentsorgung reichen«, findet er, worauf alle energisch nicken.

Ein Marktaufseher steht etwas abseits und beobachtet die Diskussion. Er bittet in sein Büro. Dort ist es dunkel, es gibt keine Fenster, man hört den Chor in der Kirche nebenan singen, und man riecht den Abfallberg vor der Tür. Seinen Namen will der Aufseher nicht in der Zeitung lesen. Er liefere das Geld, das er von den Marktfrauen einsammle, jeden Tag an die Stadt ab, behauptet er. Er wisse nicht, wo das Müllauto bleibe. »Aber die Leute glauben, ich stecke alles ein. Sie drohen mir Prügel an«, klagt der Aufseher.

Wie in manchen anderen afrikanischen Ländern weiß man im Kongo nicht genau, wie viel Geld der Staat einnimmt und wofür es verwendet wird. Die kamerunische Umweltwissenschaftlerin Patience Nghengwa Ache, die zum Abfallproblem in Afrika forscht, nennt das »Schwäche der Regierungsführung«. Am Telefon sagt sie: »Wenn in den afrikanischen Ländern die Korruption nur um zehn Prozent reduziert würde und die bestehenden Umweltgesetze wenigstens zu 20 Prozent durchgesetzt würden, würden unsere Müllberge schon deutlich schrumpfen.«

Umweltgesetze durchsetzten, das wäre auch im Sinn von Desiré Atanga. Der stellvertretende Leiter der städtischen Müll- und Abwasserabteilung sitzt auf einem Holzstuhl in einem Nebengebäude des Rathauses in Goma. Es ist ein solides Gebäude aus Stein. Der Hof ist gefegt. Von der Mauer leuchtet die kongolesische Fahne in Blau, Rot und Gelb. Hinter Atanga hängt das Foto von Staatspräsident Félix Tshisekedi an der Wand. Atanga sagt, das Müllproblem in Goma treibe ihn persönlich um. Aber seine Abteilung habe kein Geld. Wie viel Gebühren die Stadt einnimmt, kann er nicht sagen. Haushalte in Goma bezahlen nichts. Geschäftsleute sollen eine Abfallgebühr entrichten, die vom Umsatz abhängt. Sie reiche von einem bis 100 Dollar pro Monat, sagt Atanga. Aber all das reiche nicht. »Wir haben nur einen einzigen, alten Lastwagen«, stöhnt der Beamte. Wie solle die Stadt damit den Müll von mehr als einer Million Menschen einsammeln?

Aktivist Mwamisyo will trotzdem nicht aufgeben. Mit seinen Freunden von der Bürgerbewegung »Kampf für den Wandel« klaubt er jeden Samstag Müll von der Straße und aus den Abwasserkanälen. Den Abfall stapeln sie am Straßenrand und fordern die Stadt auf, ihn einzusammeln. Manchmal klappt das sogar.

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