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Die Göttlichkeit des Spiels

Das Leben läuft weiter, der Ball holpert, der Krieg in der Ukraine bleibt so schrecklich wie unbegreiflich

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Über Ostern hatten wir reichlich Zeit, das Unfassbare zu begreifen. In der Ukraine werden noch immer Menschen abgeschlachtet, das ist so unbegreiflich wie schrecklich.

Das Leben läuft weiter, der Ball holpert - wenn man zum Beispiel eine Partie auf dem miesen Platz in Auerbach verfolgt. Und ja, die finalen Entscheidungen sorgen in den meisten Spielklassen für Spannung. Selbstverständlich nehme ich die Bundesliga aus, wo Bayern München für reichlich Langeweile sorgt.

Ballhaus Ost

In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball  - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

Alle Texte finden sie unter dasnd.de/ballhaus

Magdeburgs Streich ist auch gestorben, eine traurige Nachricht, hörten wir Achim doch hin und wieder beim MDR dabei zu, wie er leicht abwesend das Spiel des FCM erklärte. Das göttliche Magdeburger Spiel. Am Sonntag versüßten uns die bedingungslos stürmenden Bördekicker mit fünf Toren den Ostertag, der mich zurückdenken ließ an das Ostern 1981.

Ich war noch keine 18 Jahre alt, kickte bei Empor Weimar und pflügte mit meiner MZ 150 emsig den Weimarer Asphalt. Wir standen mit Empor auf Tabellenplatz eins und mussten im heimischen Stadion die zweite Mannschaft von Motor Weimar niederringen. Wir spielten auf Asche im Stadion des Friedens. Hört sich gut an, war aber auch 1981 nur ein leeres Versprechen, die Welt brannte auch damals an diversen Ecken. Ok, es waren meist Stellvertreterkriege, Amis und Russen machten sich selten die Hände schmutzig. Aber Krieg ist Krieg und Soldaten sind Mörder.

Im kleinen Weimar beschäftigten wir Emporbuben uns nur mit den Motorkickern. Sie waren technisch besser, wir jedoch konnten besser treten, kratzen, schubsen. Sie spielten auf Rasen, wir auf schöner Schlacke. So nannten wir voll Liebe den Unterboden, der uns Beine und Hände aufschlitzte, wenn wir ungebremst in unsere Gegner rannten und uns mit ihnen auf dem Platz kugelten, möglicherweise auch heimlich nachtraten. Doppelt hielt schon immer besser.

Der schlechte Platz und unser robustes Spiel raubten den Motorbübchen den Schneid, drei landeten im Dreck, es waren ihre besten Spieler. Der Motor-Trainer tobte, unsere ausnahmsweise anwesenden Eltern brüllten: »Macht sie fertig!« Der Schiedsrichter freute sich schon auf die leckere Flasche Nordhäuser Doppelkorn, die wir ihm in die Kabine gelegt hatten. In der 22. Minute schickte mich Steini steil. Ich hatte ein paar Meter Platz, rannte wie besengt bis zum Strafraum und traf den Ball mit dem Vollspann. Er segelte über den Torwart und traf die Unterkante der Latte.

Schon während des Segelns sah ich vor meinem inneren Auge eine holde Maid, die mich entfernt an Angela Davis erinnerte. Sie lächelte. An ihrem Hals hing ein Peace-Zeichen und ihr schicker Afro erfreute mein hungriges Herz. Sie zeigte auf den Ball. Fast schien es, als würde sie ihn mit einem Tippen ihres vorzüglich manikürten Daumens sanft berühren. Ich erlebte diesen ehrwürdigen Moment im Bruchteil einer Sekunde und erkannte die Göttlichkeit allen Fußballs. Denn leset: Von der Unterkante der Latte prallte der Ball auf den Hinterkopf des Torwarts und von seinem Brummschädel ins Tor. Ein warmer Glücksregen durchreiste meinen jungen Körper, meine Mitspieler rannten auf mich zu, alle brüllten wild durcheinander, indes sich der gegnerische Torwart nicht mehr imstande sah, weiterzuspielen.

Nur wenige Sekunden später kam Steini an den Ball. Er stand frei vor dem Torhüter und musste ihn machen. Er machte ihn. Wir gewannen die Meisterschaft und mussten in die Relegation um den Aufstieg. Einen Tag vor dem Entscheidungsspiel holte mich ein Lkw vom Motorrad. Ich lag beim Spiel meines Lebens im Krankenhaus, alle Zähne locker, aber geistig vollendet.

Alle Kolumnentexte: dasnd.de/ballhausost

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