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Tour de France: Die Anti-Pogačar-Tour
Die Organisatoren der Tour de France wollen für mehr Spannung bei der Mutter aller Radrennen sorgen
Das nordfranzösische Lille ist bereit für die Tour de France. An der Grand Place des Startortes ist bereits ein zwei Stockwerke großes Gelbes Trikot installiert. Christian Prudhomme, Chef der Tour und Absolvent der Journalistenschule in Lille, ließ in den Lokalmedien bereits verlauten, er sei fest überzeugt, dass die Nordfranzosen am Samstag für einen leidenschaftlichen Auftakt sorgen werden. Sein Namensvetter Christian Poiret, Chef des Departments, reibt sich auch schon die Hände wegen der zu erwartenden Einnahmen.
»In Bilbao, wo die Tour 2023 startete, hat man die Mehreinnahmen auf mehr als 100 Millionen Euro angegeben«, sagte Poiret – und verteidigte so die Ausgaben von insgesamt 1,75 Millionen Euro für jede Etappenstadt. 1,4 Millionen gehen direkt an Tourausrichter ASO, 350 000 Euro sind als Ausgaben für Logistik bilanziert. Keine Kosten verursachen die 28 000 Polizeibeamten und Feuerwehrleute, die den Kurs absperren und die der französische Staat kostenfrei zur Verfügung stellt.
Mythische Anstiege und eine Woche für die Sprinter
Sie bewachen einen Kurs, der viele traditionelle Elemente bereithält: mythische Anstiege wie etwa den Provence-Riesen Mont Ventoux oder Hautacam in den Pyrenäen. Das Traditionsbewusstsein kann man auch daran erkennen, dass die erste Woche vornehmlich den Sprintern vorbehalten ist. Männer wie der Eritreer Biniam Girmay oder der Belgier Jasper Philipsen kämpfen nicht nur um Etappensiege und das Grüne Trikot. Sie können in den ersten Tagen auch um Gelb fahren. »Ja, wir peilen Gelb für Biniam an«, hieß es etwa bei Girmays Rennstall Intermarché – Wanty.
Dass die Sprinter so viel Raum haben, löst bei den Nichtsprintern allerdings Sorge aus. »Es wird Chaos herrschen auf den ersten Etappen«, warnte Tiesj Benoot vom Team Visma – Lease a Bike. »2021 sind wir auch schon in der Bretagne gestartet und es gab viele Massenstürze. Ich erinnere mich an 120 Mann, die auf den Straßen lagen«, sagte der Belgier. Frühe Etappen mit mehr Bergen wie 2024 beim Grand Depart in Florenz oder 2023 in Bilbao hält der Teamgefährte des zweimaligen Tour-Siegers Jonas Vingegaard für sicherer. Denn auf einem selektiveren Parcours zeichnen sich die Konturen des Gesamtklassements viel schneller ab – und weniger Fahrer wären von der Aussicht auf Gelb zu mehr Kampf und höherer Risikofreudigkeit angestachelt.
Drei Angst-Berge für Tadej Pogačar
Mit dem Gelb-Angebot an die Sprinter wollen die Tour-Organisatoren allerdings auch der aus ihrer Sicht größten Gefahr vorbeugen: Dass von Beginn an Langeweile auftritt, weil Top-Favorit Tadej Pogačar sich schon früh Gelb holt und dann gar nicht mehr abgibt – wie im vergangenen Jahr, als das schon bei der vierten Etappe passierte. Genau deshalb gibt es neun Tage lang meist flache, teils mit kleineren Hügeln versehene Abschnitte, unterbrochen nur durch das ebenfalls flache Zeitfahren der fünften Etappe sowie den Klassikerkracher an der »Mauer der Bretagne« an Tag sieben.
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Die Anti-Pogacar-Streckenplanung betrifft sogar die Berge. Dort wählten die Organisatoren jene Anstiege, bei denen der dreifache Tour-Sieger in der Vergangenheit Schwächen gezeigt hatte: Hautacam etwa auf der zwölften Etappe, wo der Slowene 2022 von Vingegaard und dessen belgischem Teamkollegen Wout van Aert gekonnt in die Zange genommen wurde. Am Mont Ventoux (16. Etappe) musste Pogačar Vingegaard 2021 ziehen lassen. Und am Col de la Loze, der auf der 18. Etappe passiert wird, verlor er 2023 gegen den wie entfesselt fahrenden Dänen fast sechs Minuten.
Einschüchtern lässt sich Pogačar davon allerdings nicht. »Vielleicht wollen die Organisatoren mich so kriegen, indem sie die drei Berge, bei denen ich nicht exzellent war, auswählen. Aber damit gießen sie nur Öl ins Feuer«, kommentierte er den Parcours. Nach einem exzellenten Trainingslager auf der Skistation Isola 2000 gab sich der 26-Jährige siegessicher: »Die Vorbereitung war so gut wie perfekt, alles lief sehr geschmeidig und auch die Stimmung im Team ist großartig. Das verleiht mir großes Selbstbewusstsein.«
Gelbe Karten sorgen schon vor der Tour für Diskussionen
Eine Neuerung abseits der Strecke sind die gelben Karten, die jetzt auch bei der Tour an Fahrer verteilt werden, die andere Fahrer behindern, vor allem im Massensprint. Auch das Entsorgen von Flaschen an der falschen Stelle, Respektlosigkeit gegenüber den Rennkommissaren oder das Bejubeln des Siegs eines Teamgefährten kann zu Sanktionen führen. Große Auswirkungen hatte das bisher nicht. Weil zwei gelbe Karten während eines Rennens aber zum sofortigen Ausschluss führen, liegt hier ein neues Spannungsmoment. »Der Aufschrei wird groß, wenn der erste Fahrer von einer Grand Tour nach Hause geschickt wird«, mutmaßte Ralph Denk, Teamchef von Red Bull – Bora – hansgrohe, kurz vor dem Start dieser 112. Frankreichrundfahrt über 3338,8 Kilometer.
Auch die vierte Ausgabe der Tour de France der Frauen startet im Juli, am letzten Männer-Wochenende, dem 26. Juli, und führt über neun Etappen von der Bretagne in die Alpen.
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