Gemeinsame Abwehr

Bislang hält das ukrainische Militär den russischen Truppen stand - auch dank Waffen aus dem Westen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.

Dass die Ukraine den russischen Angriffen bislang widerstand, liegt an drei Dingen: an der dilettantischen Kriegsführung Moskaus, am Kampfgeist der eigenen, gut geführten Truppen und an der immensen Ausstattungshilfe des Westens. Doch bislang hörte man Kiews bisweilen dreist geäußerte Forderung nach schweren Waffen dort nur höchst ungern. Nun werden sie geliefert - wenngleich nur eine bestimmte Art schwerer Waffen.

Dabei lassen die Nato-Staaten, die ganz offensichtlich abgestimmt handeln, Sätze, wie sie der Grüne Anton Hofreiter äußert, nicht gelten. Die Ukrainer wüssten selbst, welche Waffen sie brauchen, sagt der neue »Verteidigungsexperte« gebetsmühlenartig in alle Mikrofone. Und wirtschaftsnahe Teile der Union wollen lieber jetzt als zu spät via Rheinmetall deutsche 60er-Jahre-Tanks liefern, die beim ersten Zusammentreffen mit moderneren russischen Typen in Flammen aufgehen würden.

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Trotz Untergrundarbeit der beiden Koalitionspartner Grüne und FDP sowie der Unionsdrohung, Olaf Scholz mit erhoffter Parlamentsmehrheit zur Lieferung von Panzern und Schützenpanzern zu zwingen, bleibt der Kanzler gegenüber dieser Idee skeptisch. Solange es eben geht, bietet er Geld, damit Kiew sich kaufen kann, wonach es seine Strategen gelüstet. Doch über allem steht die Frage: Wann kommt sie, die Großoffensive der Russen? Und wie sehr haben die Angreifer aus ihrem Versagen vor Kiew gelernt? Haben sie genügend Reserven, um die ukrainische Verteidigung auszuhebeln? Die bislang erfolgten Angriffe zur Eroberung des Donbass waren höchstens ein Vorgeplänkel. Nach allem, was dieser Krieg uns bislang lehrte, werden die Kämpfe noch brutaler werden.

Die Ukraine verlangt nach mehr Waffen aus dem Westen. Vor allem Deutschland wird - gerade wegen seiner jahrelang versuchten Brückenbaupolitik gegenüber Moskau - an den Pranger gestellt. Das Verlangen nach »Leopard II«-Kampf- und »Marder«-Schützenpanzern steigt. Doch davon hat die Bundesrepublik in der Tat zu wenige, um sie angesichts der zugespitzten Situation in Osteuropa abzugeben. Auch andere Nato-Staaten überhören den Ruf nach solchen Waffensystemen. Anderes schweres Gerät allerdings steht schon auf den Lieferlisten, denn es hat, anders als Panzer, kein direktes Offensivpotenzial und dient der Abwehr. Die denkbaren Abnutzungsschlachten im Südosten des Landes könnten Monate dauern.

Beispiel USA: Washington hat der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar bereits Waffen im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar zugesagt oder geliefert. Seit Anfang vergangenen Jahres summieren sich die US-Hilfen für Kiew so auf insgesamt rund 3,2 Milliarden Dollar. US-Präsident Joe Biden erklärte dieser Tage nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die USA würden die Ukraine auch weiter mit den Fähigkeiten ausstatten, »um sich zu verteidigen«. Er sicherte weitere Waffen und Munition im Wert von bis zu 800 Millionen Dollar zu.

Wer sich die jüngste Exportliste anschaut, entdeckt elf in Russland gebaute Mi-17-Transporthubschrauber. Die hatte vermutlich unter anderem die CIA vorrätig. 200 gepanzerte M113-Mannschaftstransporter haben auch schon ihre Zeit hinter sich. So wie die 100 Humvee-Geländewagen. Dazu kommen allerlei Schutz- und persönliche Ausrüstungen für die Infanterie. Die 300 »Switchblade«-Kamikaze-Drohnen könnten zum Trumpf der Ukrainer und zum Albtraum jeder russischen Panzerbesatzung werden. Ebenso die 500 zusätzlichen »Javelin«-Panzerabwehrlenkwaffen. Wer auf der Lieferliste schwere Waffen sucht, findet sie in Gestalt von 18 Feldhaubitzen, Kaliber 155 mm. Sie reisen mit einer Wochenration von 40 000 Geschossen im Gepäck. Damit die auch die Stellungen der russischen Artillerie, die jeden Angriff der eigenen Truppen mit Trommelfeuer einleiten wird, exakt und effektiv treffen, gibt es spezielle AN/TPQ-36-Radarsysteme zur Aufklärung der feindlichen Feuerstellungen.

Doch M1-Kampfpanzer oder M2-Schützenpanzer vom Typ »Bradley« sucht man vergebens auf bisherigen US-Listen. Warum? Weil US-Präsident Joe Biden ebenso wie der deutsche Kanzler Olaf Scholz vermeiden will, dass die von ihren Ländern in die Ukraine gelieferten Stahlkolosse aus den Verteidigungsstellungen heraus Angriffe fahren - die womöglich bis auf die Krim reichen. Wenn man sich die Aussagen ukrainischer Spitzenmilitärs anhört, so liebäugeln nicht wenige mit dem Gedanken, man könne sich so die von Russland bereits vor Jahren geraubten Gebiete einschließlich der Halbinsel Krim zurückholen. Wann, wenn nicht jetzt, da man die halbe Welt hinter sich weiß?! Der Gedanke, das angeschlagene Russland jetzt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sicherheitspolitisch richtig in die Enge zu drängen, um sich künftig voll auf China konzentrieren zu können, mag auch für US- und andere Nato-Militärs verlockend sein. Doch das birgt globale Risiken: Russland ist eine Atommacht!

Auch alle anderen Nato-Staaten sind nur bereit, Waffen mit weitgehend defensivem Charakter zu liefern. Kanada schickt Artillerie, Norwegen Anti-Schiff-Raketen, die von Land aus gestartet werden. Der Schlag gegen die »Moskwa« hat gezeigt, wie die Ukraine sich maritime Angreifer vom Leibe halten kann.

Es gibt weitere Gründe, weshalb »Marder«- und »Leopard II«-Lieferungen, die aus Depots deutscher Streitkräfte kommen sollen, keinen Sinn machen oder sogar höchst problematisch werden könnten. Beispiel: Um einen deutschen Panzergrenadier am »Marder« auszubilden, braucht es je nach seiner Funktion fünf bis sieben Monate. Beim »Leo« dauert es noch länger. Selbst wenn Ukrainer schneller lernen sollten - man wird die Soldaten, die jetzt in den Abwehrschlachten gebraucht werden, nicht für lange Zeit zur Heeresschule ins deutsche Hammelburg abkommandieren können. Für das neue Waffensystem muss man zudem Ersatzteil- und Service-Depots in unmittelbarer Einsatznähe aufbauen, Munition und Ersatzteile nachführen. Kurzum: Bundeswehrausbilder und -techniker müssten in die Ukraine.

Deutschland wäre damit in der Ukraine Teil des Krieges und nähme alle anderen Nato-Staaten für diese abenteuerlichen Pläne in Haftung. Dass eine Handvoll britischer SAS-Elitesoldaten gerade in Kiew ukrainische Kollegen in die Handhabung von NLAW-Panzerabwehrwaffen eingewiesen hat, hat Moskau äußert hart angemerkt. So hart, dass die Aktion rasch beendet wurde. Höchst drastische Worte richtete die russische Regierung gerade auch an Tschechien. Man kann sie dreist nennen, doch sie haben einen Grund. Tschechische und slowakische Firmen haben bereits Schützenpanzer sowjetischer Bauart auch aus NVA-Beständen, also mit Genehmigung der Bundesregierung, in die Ukraine geliefert.

Dazu kamen RM-70-Mehrfachraketenwerfer und einige T-72-Panzer. Solche soll nun auch Slowenien abgeben und dafür Material aus deutschen Rüstungsschmieden bekommen, hört man. Instandsetzung ist ein zweites Verstärkungsmittel. Die Slowakei und Tschechien bringen ukrainische Panzer und womöglich auch solche »in Schuss«, die von Russlands Soldaten »frei Haus« bis vor Kiew gefahren wurden. Merke: Ganz ohne schwere Waffen lässt die Nato die Ukraine keineswegs.

Parallel dazu ist Kiew in Tschechien auf großer Einkauftour. Für etwa 40 Millionen US-Dollar hat man 26 selbstfahrende extrem mobile Haubitzen »Dana M2« samt Munition gekauft. Solche Lieferungen müssten eigentlich gerade aus ukrainischer Sicht Sinn machen. Die Waffen sind nach sowjetischem Muster gebaut, ihre Handhabung ist also für die Empfänger relativ leicht erlernbar. Auch die ukrainische Luftwaffe hat - so US-Angaben - alles erhalten, was beim Zusammenbau neue Kampfflugzeuge ergibt. Das Land verfüge jetzt über mehr Jets als vor zwei Wochen, so Pentagon-Sprecher John Kirby. Dazu wurde natürlich auch allerlei schwere Bewaffnung geliefert. Dass man damit sowie mit den gelieferten Flugabwehrraketensystemen die russische Luftwaffe zumindest etwas zügeln kann, ist zu erwarten. Aber mehr als Verteidigung ist nicht drin, denn die Start- und Landebahnen in den zentralen und westlichen Teilen der Ukraine grenzen die Reichweite der MiG 29 - um die es sich vermutlich handelt - stark ein.

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